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Artikel vom 05.12.2005

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Schmidt präsentiert

Angst wovor?

Über einen Begriff in der politischen Diskussion

Von Aurel Schmidt



Was bleibt übrig, wenn der Globalist in seiner Unersättlichkeit sich alles einverleibt hat?



Ohne Propaganda keine Politik. Werbung für Ideen, auch politische, muss nicht à priori schlecht sein. Es kommt aber sehr auf den Stil, das Niveau und ganz besonders den Inhalt an.

Politik kommt ohne Werbung nicht aus. Das trifft auf Abstimmungen und Wahlen zu, besonders in der direkten Demokratie, aber auch auf den politischen Alltag. A priori muss politische Werbung nicht schlecht sein. Aber Vereinfachungen sind manchmal unumgänglich und jedes Mal unerträglich.

Die Propaganda (ein Begriff, der aus dem Kirchenlatein kommt und sich auf die Verbreitung des rechten Glaubens bezieht) gerät damit in ein schiefes Licht, auch wenn es lächerlich wäre, etwas anderes zu erwarten, zum Beispiel Glaubwürdigkeit, Transparenz, Sachlichkeit. Klare Parolen sind schlagkräftiger. Aber sie simplifizieren die Sache, um die es geht.

Dass die politische Werbung die eigene Partei oder die eigenen Ideen in ein positives Licht stellt, gehört zum Geschäft. Es wird aber problematisch, wenn dies so geschieht, dass die Gegenpartei oder die abweichenden Ideen schlecht gemacht wird. Nach dem Motto: Wir machen es besser, nur unsere Gegner hindern uns daran. Das ist ein schlechtes Zeugnis für die eigenen Vorschläge, Ideen und Ziele.

Vom Umgang mit dem Gegner

Wenn man sich ansieht, was im Vorfeld von Abstimmungen und Wahlen oder allgemein in den politischen Diskussionen (im Parlament, in der Arena des Schweizer Fernsehens) gewöhnlich verlautbart wird, löst das gelegentlich ein Kopfschütteln aus.

Die Frage ist damit gestellt, wie mit dem Gegner umgegangen wird und was ihm unter Umständen unterstellt wird, damit die eigene Position ins Positive gewendet werden kann und auf diese Weise ein Mehr an Wirkung erzielt.

Zu diesem Umgang mit dem Gegner gehört es, wenn man an ein paar Beispiele der jüngsten Vergangenheit denkt, ihm Angst vorzuwerfen. Nach dem Motto: Wenn Du keine Angst hättest, wärst Du in der Lage zu verstehen, dass ich recht habe.

Angst in der politischen Diskussion ist ein schwerwiegender Einwand. Dem Gegner wird damit alles Mögliche angedichtet: Kurzsichtigkeit, falsche Entscheidung, Beeinflussbarkeit.

Zum Beispiel wurde in der zurückliegenden Abstimmung über das Gen-Moratorium den Initianten Angst vorgehalten. Nach dem Motto: Gen-Technik ist ganz harmlos, sie hat viele Vorteile, sie schafft Arbeitsplätze, sie ist gut für den «Standort Schweiz» (eines von vielen neuen Schein-Argumenten). Wenn Du also dagegen bist, dann verstehst Du nichts und behinderst Fortschritt.

Der Fortschritt bedarf einer Erklärung

Kein Wort, was mit dem Begriff «Fortschritt» gemeint ist. Womöglich eine kommende gigantische Abhängigkeit von Agro-Konzernen? (Es gibt heute weltweit fünf, die den Markt beherrschen!) Keine Frage auch, in welchem Mass die Gen-Technik generell, also auch in der Landwirtschaft, in das Leben der Menschen eingreift. Das ist ein Thema, das in der öffentlichen Diskussion inexistent ist.

Trotzdem durchschauen viele Menschen diese Entwicklung und lehnen den angedienten sogenannten Fortschritt ab. Sie wissen, worum es geht. Und sie haben nicht etwa Angst, sondern treffen einen politischen Entscheid und sagen: Gen-Technik, zumal in der Landwirtschaft, ist etwas, das ich nicht will. Ich lehne sie ab. Nichts für mich. Ich bin gegen Gen-Technik in der Landwirtschaft, aus persönlicher Beurteilung, die ich in eine politische Entscheidung umwandle, soweit es möglich ist.

Die Verwendung des Begriffs Angst muss unter diesen Umständen als demokratiefeindlich taxiert werden, als Begriff, der den demokratischen Willen ausschliesst.

Das Regime der WTO

In einem anderen Fall ist der Einwand der Angst ebenfalls wieder aufgetaucht. Offenbar hat Luzius Wasescha, Chefunterhändler der Schweiz bei der WTO, ihn verwendet. Es geht um die Tatsache, dass in Basel ein grüner Vorstoss unternommen wurde, Basel zur «Gats-freien Zone» zu erklären. Damit soll der Service publique erhalten werden.

An dieser Stelle sollten ein paar Begriffe erklärt werden. Die Welthandelsorganisation, die sich hinter dem Kürzel WTO verbirgt, ist eine Institution, die sich die Liberalisierung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zum Ziel gesetzt hat (Gatt-Abkommen für den Handel, Gats-Abkommen für die Dienstleistungen und Trips-Abkommen für geistige, immaterielle Güter). Die WTO wurde 1994 gegründet. Sie unterliegt keinerlei demokratischen Kontrolle oder Verpflichtung.

Die Entschliessungen der WTO werden von den angeschlossenen Staaten, weil sie sich mehr Wohlstand durch freien Handel versprechen, befolgt und umgesetzt – allerdings gegen einen weltweit wachsenden Widerstand von immer mehr Menschen, die einsehen und zu spüren bekommen, dass sie, entgegen anders lautender Versprechen, zu kurz kommen.

Die WTO ist also zuständig für alles, was mit Globalisierung, Privatisierung und Deregulierung zu tun hat. Durch die WTO werden Staaten durch Märkte und Chefetagen ersetzt. Die Staaten und Regierungen regeln nicht mehr ihre Gemeinwesen, sondern die Entscheidungen werden den Mechanismen des anonymen, sich verselbständigenden Markts überlassen. Hinter dem natürlich auch wieder handfeste Interessen stehen. Was nicht geregelt wird, fällt ihnen in den Schoss.

Der Service publique steht auf dem Spiel

Der Basler Vorstoss ist natürlich etwas kurios, aber er zielt ins Zentrum des Problems. Bildung, öffentlicher Verkehr, Gesundheitswesen, Soziales, Kultur, Umwelt würden dem freien Markt ausgeliefert. Neuestes Beispiel: die Swisscom. Es geht im allerweitesten Sinn zum Beispiel um die Frage, ob das Wasser in der Schweiz einem belgisch-kanadischen Konsortium gehören oder ein US-amerikanischen Kriegstechnologie-Konzern die SBB übernehmen soll. Soweit könnte es kommen.

Natürlich behaupten die Regierungen, auch der Bundesrat, das Gegenteil. Der Service publique ist nicht tangiert. Aber nur so lange nicht, bis die Regierungen erklären, dass es nicht mehr gilt, was sie einmal gesagt haben, weil «eine neue Situation eingetreten» ist.

In der EU ist diese Entwicklung durch den früheren Binnenmarkt-Kommissar Frits Bolkestein und seine sogenannte Dienstleistungsrichtlinie von 1994 in Gang gesetzt worden (der Ausdruck Kommissar erinnert in fataler Weise an die Kommissare, die in der Frühzeit des Sowjetmarxismus im «Namen des Volkes», das sie nie gefragt haben, ihre Entscheidungen fällten). Die Richtlinie sieht vor, selbst Coiffeure und Altersheime zu liberalisieren.

Als die Franzosen richtig verstanden hatten, wieweit die Liberalisierung gehen soll und was da auf dem Spiel steht, machten sie sich Luft, so gut sie konnten, und sagten am 29. Mai 2005 klipp und klar «non» zur EU-Verfassung. Wenig später zogen die Niederländer nach.

Etwas anderes als Angst

Jetzt den zunehmenden Widerstand gegen die schrankenlose Deregulierung und die totale Wirtschaftsmacht als Angstmacherei zu bezeichnen, ist ein starkes Stück. Schon fast ein übles.

Es geht ganz und gar nicht um Angst, sondern vielmehr um eine entschiedene Form von Widerstand gegen eine Entwicklung, die immer mehr Menschen ablehnen. Aus guten Gründen. Das ist ihr gutes Recht. Mit Angst hat das nicht das Geringste zu tun, aber mit demokratischer Willensbildung sehr viel. Sogar mehr, als man denkt.




Ohne weitere Erklärung…

Von Aurel Schmidt


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