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Artikel vom 13.06.2007

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Basel - Kultur

Mit grosser Fotostrecke

Wenig Hässliches

Der Pressetag mit der anschliessenden Vernissage der «Art 38 Basel» am Dienstag, 12. Juni 2007, war wie gewohnt ein unglaublicher Publikums-Magnet

Von Jürg-Peter Lienhard



Im Spiegel der «Art 38 Basel»: Ganze Fotostrecke fotografiert von J.-P. Lienhard, Basel © 2007


Wer an Kunst interessiert ist, der ist an einer Verkaufsmesse von der Dimension einer «Art Basel» mitunter hoch-frustriert: Kunst als Ware, die wie jede andere Ware auch, ihren Preis hat - aber was für Preise! Natürlich gibt eine Verkaufsmesse auch den Trend in der Kunst wider, zeigt, was am Markt gefragt ist oder Abnehmer findet und womit oder wie Künstler der Gegenwart arbeiten.

Die neusten Trends sind die vielen Video-Bilder, Technik, die in Gemälden oder Fotografien eingebaut sind und ohne Strom ihre beabsichtigte Wirkung nicht bringen. Video-Kunst entwertet ihre Kunst zudem dadurch, dass sie in die Bilderflut einspeist und dadurch wiederum beiträgt, das Sehen, der wichtigste Sinn für das «Sehen» der Kunst, abzustumpfen. Analog der Popmusik, wo halbtaube Zuhörer die Musik nur noch über ihr «Bummbumm» wahrnehmen…

Jean Tinguely hat zwar nicht als erster Bewegung in die Kunst gebracht, das war zuvor eigentlich Calder mit seinen «Mobiles», aber Tinguely brachte den Trend gewissermassen zum «laufen». Nun ist das auch nicht mehr «Gegenwartskunst» wie ebenso die «Installationen», wo ganze Räume und Hallen mit irgend etwas verstellt oder möbliert werden, «Installationen» haben sich etabliert. Nur: Die gute Stube zuhause, ja selbst der Salon in der Villa, eignen sich in den seltensten Fällen zum Aufstellen dieser Dinge.

Das Kunst-Erlebnis ist es, wozu diese «Installationen» aufrufen. Aber Erlebnisse sind flüchtig wie Theater oder Konzerte. Man muss sie in Erinnerung behalten, weshalb es bei den «Installationen» die Fotos, der Katalog oder die Dokumentation und ganz besonders die Begegnungen sind, was an «Greifbarem» übrigbleibt - vorausgesetzt, der eigene Kunstverstand macht begreifbar, was der Künstler mitteilen wollte.

Zum Beispiel in der «Art Unlimited» in der hintersten linken Ecke der Halle 1: Ein Schrottplatz mit Camping-Anhänger und Lumpensammlerbude - genauer Schrottsammlerbude. Der Künstler hat genau hingeschaut, als er sich zu dieser «Installation» entschloss: Er führt uns ein getreuliches Abbild einer Realität vor Augen und meint damit metaphorisch unsere Wegwerfgesellschaft, unsere Schrottzivilisation und entdeckte dabei wohl auch eine gewisse Ästhetik, die natürlich ganz im Gegensatz von «echten» ästhetischen Produkten und Bauten und Verkehrsmitteln steht, deren Kreation aber zur immer schnelleren Hochschraubung der Schrott- und Verschmutzungs-Spirale beiträgt…

Die gekonnte Zeichnung, das herzergreifend schöne Gemälde, die Seerosen oder die Brüder und der Harlekin, das ist vorbei. Die Kunst spiegelt auch die Zeit, die Zeit des Schrotts und des Schmutzes - findet darin aber, was Kunst eben auch ist: nämlich die stete Suche nach dem Schönen. Fettecke hin oder her, auf einem Schrottplatz kann sich im abgewrackten Chrom was wundervoll spiegeln oder lacht ein Clochard herzlich unter einer Plane - der Künstler sieht's!

Zeichnungen: Schiele, Grosz, Kirchner, Matisse oder Dix sind nur noch marginal vertreten - meist mit Bleistift- oder Kohlezeichnungen - ebenso Picasso. Von letzterem hängen vielleicht noch ein, zwei Gemälde in blasierten Edelgalerien; es sind aber Bilder aus seinen letzten Lebensjahren, deren «Wert» sie eigentlich nur noch seinem Namen verdanken - aber nichtsdestotrotz wohl Hunderttausende kosten dürften. Picasso und Zeichnungen von Künstlern, die noch zeichnen konnten, sind rar und eher «Antiquitäten» in dieser Messe der Gegenwartskunst…

Wie stets, haben augenfällige Objekte oft nur den Zweck, die Aufmerksamkeit auf den Verkaufsstand zu lenken. Wieviel Kunst dabei ist, diese Frage muss sich der Kunstfreund selber beantworten. Doch kann man immer wieder und sehr oft Leute dabei beobachten, wie sie ein scheinbar «unauffälliges» Bild sehr genau studieren und manchmal einfach einen Bogen um die im Weg stehenden spektakulären Objekte machen…

In dieser Fotostrecke hier ist es vom Format und der Auflösung her nicht möglich, diese Details aufzuzeigen, diese Details, die die Kunst und den Künstler verraten. Die Fotostrecke aber ist ein erster Eindruck - ein oberflächlicher zwar - von der diesjährigen «Art Basel» und soll etwas «Appetit» auf die Entdeckung der echten Kleinode erzeugen. Die Kleinode gibt es nämlich, wenn man genau hinschauen will und dies in der Bilderflut noch nicht verlernt hat.

Immerhin kann man von der «Art 38 Basel» ganz allgemein sagen, dass wenig «Hässliches» um der skandalträchtigen «Hässlichkeit» Willen gezeigt wird: Keine aufgenagelten Penisse, kein Anus-Pavillon, wie vor zwei Jahren. Die Pornoflut in den Medien hat wohl auch die Pornoprovokation in der Kunst abgelöst; Nacktheit und Erotik haben offenbar in der Kunst wieder an Wert gewonnen.


Fotostrecke der «Art 38 Basel» von J.-P. Lienhard, Basel © 2007



«Dieses Haus von Rocky-Tocky hat vieles schon erlebt, wie es schüttelt, wie es bebt… », heisst es in einem deutschen Schlager: Objekt im öffentlichen Raum auf dem Messeplatz.




Freundlichster und liebenswürdigster Empfang am Postkartenstand in der Alu-Büchse - auch ein Objekt im öffentlichen Raum.




Und das ist das Kabäuschen der fröhlichen Postkartenverkäuferin, die sich mit einem grossen Mahlschloss einschliessen muss, weil das Publikum glaubt, man könne überall eindringen…



Messe «Art 38 Basel» im Rundhofgebäude



Den gibt es an der «edlen» «Art» auch! Allerdings ist auch er ein Objekt - ein Kunstobjekt.




No amnesty for Mister Bush!




Wohl Holbein nachempfunden?




Dieses symmetrische Relief besteht aus lauter Knüppeln des Büttels.




«L'Origine du Monde» etwas moderner interpretiert und etwas spannender fotografiert durch ein anderes Kunst-Objekt.




Das goldene Loch passte doch ganz gut ins Büro von Herrn Ospel?




Ventilatoren lassen diese Objekte eines slowenischen Künstlers in der Luft schweben und verbinden Kunst und kühlen Wind in einem - was will man mehr in diesen heissen Messehallen?




Noch vor der Vernissage und dem ersten Messetag verkauft: Picasso in einer Galerie aus Genf, wo man nicht nur blasiert tut, sondern auch Fotografen die Arbeit erschwert…




Natürlich ist es kein Wauwau, und natürlich ist es nur ausgestopft - das schwarze Schaf dieser Galerie…




Für einmal rosten seine Objekte nicht und können auch nicht als öffentliches Pissoir missbraucht werden: Richard Serra.




Der sinnierte wohl so lange vor diesem Kunstwerk, bis er zum Skelett abmagerte…




Dieser Künstler hat eine ganze Beige wertvoller Orientteppiche vernichtet und dabei ein teures Kunstobjekt geschaffen.




Es gibt tatsächlich noch Objekte von Jeannot zu kaufen - wenngleich in dieser blasierten Galerie, wo man dem arbeitenden Fotografen wütend Kataloge vor die Linse hält!




Virtuelle Käufer an einem virtuellen Messestand? Nein, allein die Beleuchtung und die Struktur der künstlerisch dekorierten Wände vermitteln diesen Eindruck. Auf der Foto sind ganz leibhaftige Menschen und echte Hardware abgebildet…




Auf der Tasche dieser hüschen UND interessanten jungen Dame steht «YSL», aber sie hat das Kunstobjekt sehr genau studiert!



«Art 38 Unlimited» - die Kunst-Ausstellung an der Kunst-Verkaufsmesse




Jean-Cri Ammann, der berühmte, modisch gesagt: «legendäre», frühere Konservator der Kunsthalle Basel, Entdecker und Förderer junger Kunst, in seinem unzügelbaren Element: Jeder Satz gescheit, kritisch, philosophisch, kunstverständig - schliesslich ist er selbst ein Künstler in der Kunstvermittlung und in der Liebe zur Kunst. Welch ergreifende Wiederbegegnung! Und wie schade, dass er nicht mehr in Basel ist!




Spektakuläre Fleissarbeit: Je zwei Mal 25 Reihen mit jeweils 72 postkartengrossen Bilderständern. Wir haben die Schwarzweiss-Bildchen für Sie gezählt: 3600 Stück, alle fein säuberlich von Hand in immer dem gleichen Abstand hingestellt.




Blamabel. Dieser Künstler hat vielen Staatsoberhäuptern der Welt eine Künstlerkravatte zum Austausch gegen deren eigene geschickt. Die meisten akzeptierten und schickten eine von sich zurück. Nur der damalige Schweizer Bundespräsident, Hans Hürlimann, schickte lediglich einen Dankesbrief - die Künstlerkravatte behielt er ohne Gegengeschenk halt in sehr schweizerischer Manier…




Elefantöse Installation.




Filigrane Installation.




Silberne Installation.




Bunte Installation.



Schwarzweisse Installation.




Streikende Installation - wenigstens, was die Neonröhren betrifft…




Hintersinnige Installation.




Gesponnene Installation.




Noch gesponnenere Installation: Unterwassergesang im gefluteten Autoinneren…




…und endlich Frischluft aus dem Schiebedach.



Die Vernissage um 17 Uhr




Sind es die schönen Schuhe oder die schönen Beine gewesen, die den Blick von den Wänden mit all dem Schönen zwangen?




Preisfrage: Welcher der beiden Schattenrisse ist der echte Sämi Keller - der obere oder der untere?




Sich mit solchen ausgeprägten Schönheiten an der Art-Vernissage zeigen zu dürfen, hat nicht jeder das Glück dazu gehabt: Denise, Barbara mit Tom (von links).




Jedes Jahr dabei und jedes Jahr die meistfotografierten Doppelten Lottchen, die einzig lebenden Kunstwerke Deutschlands (Eigenwerbung).




Und gleich nochmals…




Mysteriös und leicht melancholisch, aber auf jeden Fall total attraktiv und echt originell.




Der Dirigent auf der Kaaba im Mekka des Kunsthandels…




Der wird zurzeit hoch gehandelt - verdientermassen: Werner von Mutzenbechers typisches Handzeichen verrät, dass er endlich die mediale Anerkennung gefunden hat, die er schon immer verdiente!




Und nach dem grossen Geschäft an der Verkaufsmesse zieht es so manchen in den Kunsthallen-Garten, wo der Gewinn vor den Augen der anderen, die dahinkommen, um zu sehen und gesehen zu werden, in Merguez (ohne Harissa und Cumin moulu) oder anderes umgesetzt wird.




Wer Pech hatte und im kühlen Garten keinen Platz fand, musste drinnen in schwüler, aber üppiger Pracht aus dem 19. Jahrhundert tafeln.




Dieser Giftpfeil zum Schluss der Fotostrecke vom ersten «Art Basel»-Tag: Leere Tische, leere Stühle vor der an allerbester Lage gelegenen Restaurants-Terrasse des Stadt-Casinos: Der hanebücherne Wirt weibelt tumb und dumpf gegen den Neubau von Zahal Hadid. Da muss er sich nicht fragen, wenn die Kulturwelt am wichtigsten Event der internationalen Kunst einen grossen Bogen um den phantasielosen Renitenzler macht!


Von Jürg-Peter Lienhard

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

• Die drei neuen Chefs der künftigen «Art Basel»

• Zum Artikel: «Zum 38. Mal "Art Basel"»

• Zum Artikel: «Viele Japaner»

• Die drei neuen Chefs der künftigen «Art Basel»


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