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Artikel vom 27.10.2006

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Bücher

Zu Entdeckungen ermuntern

Den Staub fortwehen, der sich auf einem Autor gesammelt hat: Karl Philipp Moritz und die Selbstaufklärung

Von Aurel Schmidt



«Ueber die bildende Nachahmung des Schönen» (K.P. Moritz): Analysis of Beauty Plate I, Kupferstich von William Hogarth, 1753


Karl Philipp Moritz lebte von 1756 bis 1793, war Zeitgenosse von Goethe und Schiller und mit ihnen einer der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller. Bekannt ist er kaum, höchstens in Fachkreisen. Trotzdem lohnt es sich, ihn wieder aus dem Regal zu holen.



Karl Philip Moritz., geb. 15.9.1756 in Hameln, gestorben am 26.6.1793 in Berlin. Verfasser von Romanen, kunsttheoretischen Abhandlungen und Schriften über Grammatik und Sprachphilosophie, Mythologie und Altertumskunde, Psychologie und Pädagogik, Poetik und Stilistik.


Das Interesse an der Vergangenheit ist heute nicht sehr gross. Auch das Interesse an der deutschen Literatur der Vergangenheit nicht. Das ist schade, weil ein Erfahrungsschatz und die Grundlage, auf der unser heutiges Wissen und Zusammenleben beruht, auf diese Weise verloren geht.

«Anton Reiser», Moritz‘ bekanntestes Werk, ist ein Bildungs- und Entwicklungsroman in der klassischen Tradition und enthält eine Fülle psychologischer Einsichten, lange vor Freud, über die man nur staunen kann. Das Buch erschien 1785. Reiser wird sich bewusst, «dass wir etwas zu sein glauben, was wir wirklich nicht sind, und statt dessen etwas sind, was wir zu sein uns fürchten». Der Mensch leidet daran, dass er ein Schablonen-Dasein führt und sich nicht davon befreien kann. Noch einmal: Das wurde 1785 geschrieben.

Man ist, was man von sich denkt

Reiser glaubt zum Beispiel, von den Menschen verachtet zu werden. Und weil er das glaubt, wird er es auch. Ein psychischer Mechanismus, den wir heute gut kennen.

Reisers Melancholie, die er schliesslich durch Tat und Werk überwindet, rührt bei ihm von einem «Mangel an Wäsche» und dem schlechten Zustand seiner Schuhe her. So kann niemand ein guter «Gesellschafter» sein. («Kleider machen Leute», sagte später Gottfried Keller.) Wenn man die zeitbedingten Umstände der Handlung weglässt, trifft man in dem Roman ein erstaunliches, unglaublich aktuelles Wissen über die «Selbstaufklärung» an.

Moritz selber sprach von «Erfahrungsseelenkunde» und veröffentlichte Beiträge zum Thema in einem von ihm und später Carl Friedrich Pockels und Salomon Maimon herausgegebenen «Magazin zur Erfahrungsseelenkunde».

Ausserdem schrieb Moritz Werke über Sprache, Dichtung und Ästhetik sowie zur gelehrten Bildung, die nicht so zugänglich sind wie zum Beispiel ein Roman von Nick Hornby oder Rosamunde Pilcher. Aber wer von uns will das schon lesen?

Lesen und navigieren

Den Weg zu Moritz ebnen könnte ein Band (früher hätte man von einem «Reader» gesprochen), in dem Lothar Müller in stichwortartiger Anordnung Auszüge aus Moritz‘ Werk herausgegeben und kommentiert hat. Das ergibt einen Durchlauf mit Siebenmeilenstiefeln durch die Schriften des Autors, dem Müller eine «panische Produktivität» bescheinigt.

Das Angenehme an der Ausgabe liegt darin, dass man keine theoretische Abhandlung von der ersten bis zur letzten Seite durchackern muss, sondern im Buch punktuell lesen und regelrecht darin navigieren kann.

Die ideale Zeitung

Immer noch von Interesse sind Moritz‘ Ansichten über die Zeitung. Als Moritz 1784 Redakteur der Vossischen Zeitung wurde, stellte er Überlegungen zu einer (für die damalige Zeit) modernen Zeitung im Dienst des aufklärerischen Gedankenguts an.

Er setzte den Akzent auf das Einzelne statt auf das «Zusammengefasste» und orientierte sich eher am einzelnen Menschen als an grossen Begebenheiten. Den Streit zwischen zwei Sackträgern hielt er für wichtiger als den «Vergleich zwischen Russland und der ottomannischen Pforte, wo es grösstenteils bloss auf die stärkere Macht an Soldaten, Schiffen oder festen Plätzen ankömmt, wohin sich das Übergewicht lenken wird».

Moritz kam es darauf an, «den guten Kopf zu neuen Entdeckungen zu ermuntern». Der Erfolg blieb aus. Das Lesepublikum zog die Hofnachrichten vor, das Zusammengefasste, den Vergleich zwischen Russland und dem Hof des türkischen Sultans in Istanbul.

Parallelen zum heutigen Zeitungsgewerbe zu ziehen bleibt der Leserschaft überlassen.

Lothar Müller: «Das Karl Philipp Moritz-ABC». Eichborn, Berlin. CHF 34.90.

Von Aurel Schmidt

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

• Eichborn: «Das Leben ist zu kurz für langweilige Bücher!»

• Wer war Karl Philipp Moritz?

• «Ueber die bildende Nachahmung des Schönen»


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