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Artikel vom 29.12.2008

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Bücher

Die Hölle ist des Teufels Paradies

Von unserem Strassburger Freund Tomi Ungerer ist im Diogenes-Verlag ein neues Bändchen mit seinen Gedanken und Notizen erschienen

Von Jürg-Peter Lienhard



Umschlag von Tomi Ungerers Aphorismen-Bändchen - eben auch von Tomi Ungerer gestaltet.


Für faule Sprüche gibt es bemerkenswerterweise kein Fremdwort. Für gescheite hingegen schon, weshalb Aphorismen vielleicht nicht jedermanns Sache sind. Bei Tomi Ungerer heissen sie «Gedanken und Notizen», und die sind so herrlich zu lesen, wie seine Illustrationen und Zeichnungen zu geniessen sind. Zurzeit, um Weihnachten eben, hat der Satan Konsum sowieso paradiesische Zustände. Wunderbar daher, dass dies auch der Titel des Aphorismen-Büchleins des Satansbraten Tomi Ungerer ist: «Die Hölle ist das Paradies des Teufels».

Nur keine Angst, bidlhübsche Leserin, holder Leser: Im Büchlein aus dem Diogenes-Verlag sind mitnichten satanische Verse abgedruckt - ausser dem Titel -, sondern witzige, doppeldeutige, ernste und gescheite Gedanken, die der Autor in seinem erst kürzlich vollendeten 77-jährigen Leben aufgezeichnet hat. Leicht lesbar zumeist, und immer auch ein paar Zeilen später mit dem «Wie-war-das-vorhin-gemeint-Effekt» zum Stolpern versehen. Mit einem Wort: Der typische Hintersinn des grossartigen Zeichners und intellektuellen «enfant terrible» Tomi Ungerer.

Am Freitag, 28. November 2008, hat Richard von Weizsäcker in der Akademie der Künste in Berlin Tomi Ungerer ein besonderes Geschenk zu dessen 77. Geburtstag überreicht: Den «Prix de l’Académie de Berlin». Der französische Titel rührt wohl daher, dass Berlin eine Gründung der Hugenotten ist, die der Sonnenkönig aus Frankreich hinauswarf, weshalb der Preis an Tomi eben für «seinen kulturellen Beitrag zur deutsch-französischen Verständigung» ging. Das sind immerhin 20’000 €uro, die von der Robert-Bosch-Stiftung dieses Jahr zum ersten Mal ausgeschüttet wurden.

Ich war leider nicht dabei bei dieser Ehrung «für die intellektuelle Auseinandersetzung zwischen den beiden Kulturen», wie der Untertitel des Preises heisst. Zumal die deutsch-schweizerische Verständigung vor allem von Arbeitskräften aus der DDR angestrebt wird, zurzeit. Aber ich nehme an, dass Tomi in seiner Dankesrede aus seinem am 21. November 2008 bei Diogenes in Zürich erschienenen Aphorismen-Bändchen zitierte. Und einige dieser Gedanken und Notizen sind es wert, hier als Müsterchen, als Leckerbissen und Appetitanreger (zum Kauf des Büchleins) den Lesern von webjournal.ch serviert zu werden.

Der «Mann, dem Ideen im Minutentakt entspringen» (siehe weiterführende Links am Schluss dieses Artikels), ist eben nicht nur Meister des Zeichenstifts, sondern auch ein «Wortspieler», «Wortverdreher» und «Wortschöpfer» in einem.

Sein neustes Bändchen schmücken einige seiner teils bekannten Illustrationen, «Miniaturen», oft nur karge, aber keinesfalls «wortkarge» Strichzeichnungen. Diese zieren die rund 22 Kapitel, deren Titel auch den Philosophen Ungerer verraten - wenn mans nicht schon längst weiss: «Sein und Zeit», «Wissen und Weisheit», «Condition Humaine» und «Tod»: «Frei lebt, wer sterben kann.» Dass er so lebt, das zumindest, traue ich Tomi zu, aber auch: «Der Tod ist die Herausforderung des Lebens.»

Ganz hübsch sind seine Fragen, die das Kind in Tomi sprechen lassen - echt hintersinnig: «Fragespiel: Finde eine Frage zu einer Antwort.» Darum weiss er: «Das Wichtigste ist, die Neugierde der Kinder zu fördern. Dann wird das Leben zur Entdeckungsreise.»

Ein Kapitel heisst «Provokationen», doch sind in allen anderen Kapiteln stets auch Provokationen versteckt - sonst wäre das kein Büchlein des «enfant terrible» Tomi Ungerer. Zum Beispiel im Kapitel «Humor»: «Ohne Verzweiflung kein Humor.»

Was das (vergangene) «deutsch-französische Problem» angeht, so hat vielleicht dieser Aphorismus den Ausschlag zur Preisverleihung gegeben: «Der Rhein, der Europa einst teilte, ist zu seiner Wirbelsäule geworden.» Das ist so ein Satz, der einem von hinten auf die Schulter tippt: «Wie, bitte?» Besonders wir Schweizer sollten den nochmals lesen - lesen und… verstehen!

So dürfen im Kapitel «Elsass» aber gleichwohl Franzosen und Deutsche zu verstehen versuchen: «Man hat das Elsass den Deutschen verkauft, man hat es den Franzosen verkauft, man hätte es den Juden verkaufen müssen, dann wäre es in der Familie geblieben.» Capito?

Die übernächste Notiz im Elsass-Kapitel, fast eine ganze Seite lang, daran kaue ich noch, vielleicht noch lange, weshalb ich es den Lesern überlasse, sie zu entdecken, denn: «Die schlimmsten Narben sind die unsichtbaren.»

Ein Tomi Ungerer ohne Erotik, ohne Wortspiel zur Erotik, hiesse ihn kastrieren. Aber auch dieses Kapitel lasse ich aus - um der Pointen willen. Nur diese hier, weil der Lausbube Tomi auch hier den Nagel auf den Kopf getroffen hat: «Ein Teddybär mit Erektion: Steiff.»

Das Büchlein ist voller Überraschungen, aber für Lesefaule ungeeignet: Einmal angefangen, kann man nicht aufhören. Daher mein Tip, schlagen Sie das Büchlein irgendwo auf und fangen Sie irgendwo zu lesen an. Sie kehren gerne zum Anfang oder zum Schluss zurück, und im Rücken ist ein Bändeli eingelassen, damit man den Lieblings-Aphorismus schnell wiederfindet.

Der Inhalt des Vorworts von Elke Heydenreich kann man mit Tomis Aphorismus aus dem Kapitel «Frauen» zusammenfassen: «Frauen sind ein notwendiges Vergnügen.»

Die Umschlagzeichnung stammt von Tomi Ungerer. Die Foto Ungerers auf dem ersten Klappentext stammt von Jürg-Peter Lienhard, ist Tomis Lieblingsbild, aufgenommen beim Basler Bahnhof am Fuss des sogenannten Strassburger-Denkmals von Frédéric-Auguste Bartholdi, dem Schöpfer der amerikanischen Freiheitsstatue Liberty im Hafen New Yorks.


Infos zum Buch

Tomi Ungerer: «Die Hölle ist das Paradies des Teufels. Gedanken und Aufzeichnungen» Diogenes Zürich, 2008.

Aus dem Waschezttel des Diogenes Verlags: «Man sollte immer ein Notizbuch bei sich tragen, ob zu Hause oder unterwegs», so Tomi Ungerer. Er selbst hält sich seit über dreissig Jahren an diesen Vorsatz und hat so beiläufig, neben einem riesigen Werk von über hundert Büchern und Zehntausenden von Zeichnungen, auch stapelweise Notizbücher und Schreibhefte gefüllt. Neben Ideen, Skizzen und Zeichnungen offenbaren diese seine Vorliebe für Aphorismen, Wortspielereien und kleine Geschichten. Aus diesem Fundus ist nun ein Buch entstanden.


Hinweis

Vom 2. Dezember 2008 bis 8. März 2009 findet im Max-Ernst-Museum Brühl die Ausstellung «Ohne Wind wüssten die Wolken nicht wohin» statt, mit 150 Werken Tomi Ungerers. Siehe Direktlink hier unten.


Von Jürg-Peter Lienhard

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

• Ungerer-Biographie des Diogenes-Verlags

• Link zur Ausstellung im Max-Ernst-Museum

• Fotoreportage Eröffnung Ungerer-Museum Strasbourg

• Mehr über Tomi Ungerer


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