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Artikel vom 15.11.2008

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Ottokars Cinétips

Missachtet und vergessen: die Filmkunst

Wenn technische Effekte auf ein Minimum beschränkt bleiben, entstehen Filmkunstwerke. Das beweisen ein Film aus Russland und einer aus der Türkei (siehe Basler Kino-Programm)

Von Ottokar Schnepf



Konstantin Lavronenko (in Cannes für seine Darstellung mit der Goldenen Palme ausgezeichnet) als Alex, und Marie Bonnevie als Vera.


Kein Tag vergeht ohne eine Meldung über den neuen Bond-Film «Quantum of Solace» in den Medien. In den Zeitungen ist zu lesen, dass seit der Premiere noch nie ein Bond-Streifen so viele Besucher in die Schweizer Kinos lockte. Oder dass die weiblichen Zuschauer von Bond weniger begeistert seien als die männlichen -und anderen Nonsens mehr.

Ein Leserbriefschreiber meint «...jetzt müssen die Kritiker einmal ihren Kopf benützen» - und er hat recht, denn man muss sich in der Tat an den Kopf greifen, um die Aufregung zu begreifen, die über diesen mehr schlechten denn echten Bond-Film losgetreten wird. Auch das Schweizer Fernsehen rührte die Werbetrommel, und ehrte Mister Bond am Premierentag mit einem «10 vor 10»-Beitrag. Einen würdigen Platz fand 007 auch auf dem «Kulturplatz» von SF/DRS. Und sogar 3sat opferte ihre kurz bemessene «Kulturzeit» für die anscheinend unsterbliche Kinofigur, die mit Ian Flemings Romanfigur nichts mehr gemein hat.

Um das geht es: Warum wird in sogenannten Kultursendungen ein Bond-Film vorgestellt, und dazu noch als gut befunden, während die wirklich sehenswerten, hervorragenden Filmkunstwerken kein Platz eingeräumt wird. Denn gerade auf solche Werke sollten die Fernsehzuschauer aufmerksam gemacht werden. Ein Bond-Film wird auch ohne Fernseh-Anbiederung von der Masse besucht. Ein anspruchsvoller Film hingegen benötigt die Medien, um seine Besucher zu finden.

Gute Beispiele dazu liefern ein russischer und ein türkischer Film, die beide beinahe unbeachtet in Basel zu sehen sind. Bleibt trotz «A Quantum of Solace» etwas Hoffnung, dass sich das ändert?


Missverständnis und Schuldzuweisung



«Izganie»: betörende Aufnahmen von atemraubend schönen Landschaften.


Die russischen Filme werden bei uns immer mit englischen Titeln versehen, man fragt sich warum. So wird «Izganie» mit «The Banishment» angekündigt. Es ist der zweite Film von Andrey Zvyagintsev, der mit «Vozvrashcheniye» (Wiederkehr) 2003 in Venedig zwei Goldene Löwen gewann, für die Kategorie Bester Film und Bester Erstlingsfilm. Nach der Wiederkehr jetzt also die Verbannung.

Der Film fusst auf einer Geschichte von William Saroyan, in deren Mittelpunkt stehen Alex - verkörpert von Konstantin Lavronenko, dem für seine Darstellung letztes Jahr in Cannes die Goldene Palme zugesprochen wurde - und seine Frau Vera (Marie Bonnevie). Aus der Stadt ziehen sie mit ihren beiden Kindern aufs Land ins Haus des verstorbenen Grossvaters.

Als Vera ihrem Alex offenbart, dass sie nicht von ihm schwanger ist, beginnt eine Kette von Missverständnissen und Schuldzuweisungen - ein drohendes Unheil wird unausweichlich in dem inmitten einer atemraubend schönen Landschaft stehenden Haus. Zvyagintsev beobachtet seine Figuren aus der Distanz, in ruhigen, dichten Bildern. Ihm ist auch wichtig, wie sich die Figuren in den Räumen bewegen, denen er sie aussetzt. Das zurückhaltende, spröde Erzählen hat er schon in seinem Erstlingsfilm «Vozrashcheniye» angewendet. Und es gibt kaum Musik, als ob der Film an Alex ein Exempel statuieren wollte: Du musst büssen für all deine Schwächen.

Und wie sich Zufall an Zufall knüpft, das kann man Schicksal nennen oder erzählerische Willkür. Es gibt in diesem wunderbar fotografierten Film lange und auch ereignislose Einstellungen, mit denen Kinogänger, die in den meisten Filmen von heute mit technischen Effekten bombardiert werden, überfordert sind. Wer aber vielschichtige Filme und poetisch-traumhafte Bilder schätzt, darf und soll «Izganie» nicht verpassen.

Einer der schönsten und beeindruckendsten Filme seit langem.


Mystische Legendenreise




Für unsere türkischen Mitbürger hat das pathé-Kino Küchlin einen Film programmiert, der die Legende einer Legende zum Thema hat, die nicht der digitalen Hollywood-Märchenwelt entsprungen - und für Kinder empfehlenswert ist.


Hoch zu Pferde, mit wehendem Mantel und einem grossen Turban reitet der Bote Zekeriya von Dorf zu Dorf und erzählt den Bewohnern die Geschichte von dem Boten Ibraham, der von Dorf zu Dorf zieht und Geschichten erzählt.

Doch eines Tages erreicht er ein gottverlassenes armseliges Dorf, das die ganze Schuld der Welt auf sich geladen zu haben scheint, wo Mütter ihre eigenen Töchter verkaufen, Väter ihre Söhne misshandeln, ein junges Liebespaar auseinandergerissen wird, Frauen wegen ihrer Kinderlosigkeit geächtet werden und jeder wegsieht, wenn anderen Unrecht zugefügt wird.

Nur die Kinder lauschen wie gebannt Zekeriyas Märchen von dem Boten, der eines Tages in ein gottverlassenes Dorf kommen wird, um die guten Menschen aus dem Unheil herauszuführen. Langsam gleiten sie in seine Geschichte ein, Wirklichkeit und Märchen beginnen ineinander zu fliessen.

Eine mystische Reise in eine Welt der Legenden, die sich aus allerlei Allegorien, Mythologien und messianischen Heilsversprechungen nährt und mit Reverenzen zum Koran und der Bibel gespickt ist, hat der türkische Regisseur Cagan Irmak in farbenprächtige Bilder gebannt.

«Ulak» sollten sich Eltern mit neugierigen Kindern ansehen: an Stelle vom dümmlichen «Bienvenue chez les Ch'tis», der bereits 8-Jährigen zugemutet wird.

Von Ottokar Schnepf

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

• Basler Kino-Programm


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