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Artikel vom 17.12.2005

J.-P. Lienhards Lupe

Ein Mann kämpft um sein Werk und für seine Leute

Marc Grodwohl, der Gründer des Ecomusée d‘Alsace, ist nicht nur Pionier, Visionär und Realisator - er ist auch ein Unternehmer

Von Jürg-Peter Lienhard



Marc Grodwohl kämpft persönlich für seine 150 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Narrenkostüm… Bilder seiner Zornes-Rede am Schluss. Fotos: J.-P. Lienhard, Basel @ 2005



Seit ich Marc Grodwohl kenne, das sind nun über 25 Jahre, habe ich ihn noch nie so gesehen, wie am Freitag, 16. Dezember 2005, in Colmar vor dem Palais des oberelsässischen Generalrates. Stets wirkte er schüchtern, verschlossen gar, und Auftritte in der Öffentlichkeit waren ihm ein Greuel. Doch wie er nun in seinem «Hanswurst»-Kostüm in das Mikrofon bellte und dynamitgeladen gestikulierte, das war ein Alarmzeichen - jetzt geht es nicht dem Hans, sondern dem Ecomusée d‘Alsace um die Wurst.

Wäre Marc Grodwohl in Amerika, genösse er dort den Respekt, den Amis einer «Tellerwäscher-Karriere» entgegenbringen. Grodwohl hat ohne Geld, aber mit einer unumstösslichen Überzeugung, seinen Weg verfolgt und ist dort gelandet, wo er wohl immer sein wollte: Als Unternehmer in der Tradition der grossen Mülhauser Industriegründer. Ja, ein Freilichtmuseum aus dem Nichts aufbauen und es zu einem Betrieb mit 150 Angestellten bringen - das sollte mal einer von der Manager-Schule nachmachen…

Doch Marc Grodwohl ist nicht in Amerika, und in Amerika hätte er gar keine Aufgabe wie im Elsass finden können. Jedoch: auch das Elsass hat ihm Möglichkeiten geboten, die er nie und nimmer in der Schweiz und wohl auch nicht in Deutschland erhalten hätte.

Indessen ändern sich die Zeiten und mithin nicht nur die politische Konstellation, sondern auch der Zeitgeist, der vieles als «modern» bejubelt, was doch eh schon von gestern ist, weil es plötzlich alle nachmachen und dann der unikate Effekt futsch ist, das «Moderne» als «Modeerscheinung» in Vergessenheit gerät. So ist es «Fun-Parks» ergangen, so ergeht es den Kopien von Disneyland und so ergeht es jedem Illusions-Zauber, wenn der mal gelüftet und daher ausgereizt ist.

Vergessen statt erinnern

Doch wo ist der Unterschied zwischen einem «Fun-Park» und einem «Mnemo-Park», wie es das Ecomusée d‘Alsace darstellt? «Fun» hilft vergessen, während Mneme, die griechische Göttin des Gedächtnisses, erinnern hilft! Das ist ein fundamentaler Unterschied: Das Ecomusée d‘Alsace will Ursprünge und Zusammenhänge aufzeigen, was eine wichtige Voraussetzung ist, um zu einer Identität zu finden und Einsichten über das Zusammenspiel der vielen Faktoren erzeugen, die Zivilisation und Kultur erst entstehen lassen. Das hat nichts mit «Modernität» zu tun, sondern mit Bewusstsein, und Bewusstsein muss man wecken!

Weil ich Marc Grodwohl noch nie so gesehen habe, wie an diesem Freitag, 16. Dezember 2005, in Colmar, scheint es mir eben auch angemessen, seine Person etwas mehr ins Rampenlicht zu rücken. Man weiss es zwar allgemein im Elsass: er ist ein Krampfer - fast von beängstigender Energie. In seinem langen Arbeitstag leistet er vieles gleichzeitig: Er ist Forscher, Publizist, Manager, Finanz-Genie und Familienvater…

Zur elsässischen ländlichen Wohn- und Baukultur gab es vor Grodwohl praktisch keine Literatur; ausser über bestimmte Bürgerhäuser wie das Koifhüs in Colmar oder das Haus Kammerzell in Strassburg, nebst Literatur über sakrale Bauten. Grodwohl und seine ebenfalls meist sehr bemerkenswerten Kumpane, haben als erste auf dem Gebiet der ländlichen Bau- und Wohnkultur Feldforschung betrieben, haben darüber publiziert. Zunächst meist nur für einen winzigen Kreis Interessierter, denn Bauernhäuser galten unter den Volkskundlern als etwas «Unberührbares», was sich dank der Existenz des Ecomusée d‘Alsace stark geändert hat.

Ecomusée rief Heimatschutz ins Leben

Grodwohl und die Seinen strengten unglaubliche Bemühungen an, steckten demotivierende Ignoranz weg, aber schafften es schliesslich, dass im Oberelsass so etwas wie eine Heimatschutz-Behörde etabliert wurde, die gar bedeutende Subventionen ausschütten konnte, wenn bei Restaurationen die Empfehlungen des Ecomusée d‘Alsace eingehalten worden waren.

Mit zunehmender Grösse des Ecomusée d‘Alsace traten andere Fähigkeiten von Marc Grodwohl zum Vorschein: Nebst seinem Flair für kreative Ideen hatte er einen erstaunlich ausgeprägten Sinn für Finanzen und brachte es immer wieder fertig, Finanzquellen anzuzapfen, die sicher nie in ein Museum oder in ein Profit-Center eines Museums investiert hätten. So zum Beispiel die Swissair oder die Genfer, respektive Basler Kantonalbank.

Erstaunlich auch sein Geschick im Umgang mit der Politik verflossener Perioden: Der mächtige oberelässische Generalratspräsident und Senator in Paris, Henri Goetschy, legte seine schützende Hand übers Ecomusée d‘Alsace, und gemeinsam brachten sie es fertig, dass der französische Kulturminister Jack Lang das noch winzige Museum im Sommer 1984 eröffnete, später - noch nicht viel grösser - besuchte es gar Staatspräsident François Mitterand. Und der Vollständigkeit halber erwähnen will ich, dass auch alt Bundesrat Hanspeter Tschudi, der Vater des beispiellosen Sozialwerkes der Schweiz, der AHV, offiziell im Museums-Dorf begrüsst worden war.

Ideeller Kopf ohne Bereicherungsabsichten

Es gäbe noch andere Themen, Erzählungen über dieses «Wunder» an Kreativität und Engagement, abendfüllende zumal. Noch ein kleiner, nicht ganz unbedeutender Aspekt zum Schluss: Grodwohl hat Charisma, ist Bandenchef und Star in einem. Er hat stets eine eingeschworene Bande um sich, die ihm glühend die Stange hält. Wenngleich er auch dann und wann gute Leute verheizte, weil er seine Arbeitswut als Maxime bei anderen fordert, so hätte Bandenchef Grodwohl ohne seine Equipe nicht 21 Jahre ein Museums-Unternehmen aufbauen und leiten können. Und das ist auch der Grund, warum er sich an die Spitze seiner Leute stellt, wenn es um deren Arbeitsplätze geht. Das ist Grodwohl!

So was habe ich noch von keinem Unternehmer gehört, und ich persönlich denke mir dabei, dass die Politiker in Colmar lieber einen Grodwohl mit «patronalen Arbeitgebereigenschaften» haben wollten. Doch sie übersehen, dass ein Werk wie das des Grodwohl‘schen Ecomusée d‘Alsace nicht von einem «Manager» hat aufgebaut werden können. Sondern, dass das nur mit einem ideellen Kopf ohne Bereicherungsabsichten und Korrumpierbarkeit möglich ist…

Marc Grodwohl will nicht hinnehmen, dass die aktuelle Politiker-Generation im Elsass ihn im Stich lässt, andere Projekte favorisiert, weil Grodwohl eben weiter als bis zu seiner Nasenspitze oder bis zu den nächsten Wahlen denkt: Das Ecomusée d‘Alsace ist kein modischer «Fun-Park» und auch kein Monument, das man auf den Piedestal setzen und vergessen kann. Das Ecomusée d‘Alsace ist das Gedächtnis der elsässischen Zivilisation, das Gedächtnis der Zivilisationsgeschichte am Oberrhein zumal! Oder, wie sagte ein anderer grosser Kopf der französischen Kultur, Mme Anne-Louise Germaine de Staël, einmal: «Der beste Teil der Begabung besteht aus Erinnerung.» Woraus man schliessen darf, dass die gegenwärtige elsässische Politiker-Generation es an Begabung mangeln lässt…



Grodwohls Zornesrede war explosiver als Dynamit: Da konnte selbst die elektronische Kamera nicht mehr mithalten…
















Von Jürg-Peter Lienhard

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