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Artikel vom 09.02.2019

Todesfall

Mit Nachruf des Diogenes-Verlages Zürich

Der elsässische Weltbürger Tomi Ungerer gestorben

Der Strassburger Autor und Illustrator ist in der Nacht vom Freitag, 8., auf Samstag, 9. Februar 2019, auf seiner Farm in Cork in Irland im Alter von 87 Jahren gestorben

Von Jürg-Peter Lienhard



Tomi Ungerer ✝ - fotografiert von Jürg-Peter Lienhard. © foto@jplienhard.ch 2019


Der unglaublich produktive und bissige Zeichner Tomi Ungerer hinterlässt ein immenses Werk und ein zu seinen Lebzeiten von der Stadt Strassburg eingerichtetes Museum.



Ungerers ätzende Feder voller Anspielungen: Eines der berühmtesten Plakate des Weltbürgers. Mit freundlicher Genehmigung des Diogenes-Verlages, Zürich, © 2019
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Seine Plakate, die unnachahmlich witzig oder pointiert eine Aussage auf den Punkt brachten, verliehen ihm weltweite Anerkennung. So jene gegen Rassendiskriminierung und gegen den Vietnamkrieg, aber auch seine Bücher für Kinder: «Heidi», «Die drei Räuber» oder «Der Mondmann», die alle in Deutscher und vieler weiterer Sprachen übersetzt wurden. In den USA, wo er in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts in New York arbeitete wurden seine Kinderbücher verboten, weil in seinen realitätsnahen Zeichnungen u.a. eine Flasche Schnaps auf dem Tisch der Eltern steht…

Seine bizarren erotischen - je nach Perspektive «pornografischen» - Bildbücher wie «Erotikon» oder der drei Kilo schwere im Taschen-Verlag erschienene grossformatigen Wälzer «Erotoscope» provozierten zwar Skandale, waren aber als Beiträge gegen die verlogene Sexualmoral oder als Spiegel sexueller Ausschweifungen eben auch künstlerische Manifeste.

Seine Illustrationen und Plakate jedenfalls wurden in allen Kulturen und auf der ganzen Welt verbreitet. Sein Engagement gegen die Pelzmode, seine Karikaturen in Zusammenhang mit der atomaren Bedrohung und des Militarismus sind oft mit wenigen Strichen derart «schlagkräftig» gezeichnet, dass sie die Aussage für jeden Betrachter auf den Punkt bringen.

Der Strassburger Künstler galt im Elsass als «der Elsässer» schlechthin, der kein Blatt vor den Mund nahm. In Deutschland war er allerdings bekannter als in Frankreich, zumal er sich sehr für die deutsch-französische Verständigung einsetzte und auch auf Deutsch publizierte. In einem Bändchen voller Aphorismen wird seine Einstellung als «Europäer» deutlich: «Einstmals war der Rhein die Grenze zwischen Ost und West - heute ist er das Rückgrat Europas».

Tomi Ungerer hat in der Schweiz Verwandte; die Journalistin und Moderatorin von Radio SRF, Heidi Ungerer, zum Beispiel ist seine Nichte. Tomi Ungerer stellte sich stets vor wertvolle oder kulturelle Initiativen, die eine schwache Struktur hatten, aber durch seine Unterstützung Beachtung fanden. Nebst Theaterproduktionen auch «Amnesti Animal» und Marc Grodwohl, der Gründer des Ecomusée d’Alsace.

Um die Jahrtausendwende widmete seine Geburtsstadt Strassburg ihm ein wundervolles Museum, das seine rund 10’000 Objekte - Zeichnungen, Gemälde, Skulpturen, Filme oder Spielzeug - bewahrt und mit wechselnden thematischen Ausstellungen auch einem internationalen Publikum als «Zentrum der Illustration» zugänglich macht. Er wurde erst letztes Jahr zum «Commandeur» der französischen Ehrenlegion ernannt.

Seine meisten Bücher auf deutsch und Zeichnungs-Bildbände sind vom diogenes-Verlag, Zürich, herausgegeben worden.



Tomi Ungerer bei der Zerschneidung des Bandes an der Einweihung seines ihm gewidemten Museums in Strassburg. Im Hintergrund Fabienne Keller, die damalige Bürgermeisterin Strassburgs. Fotografiert von Jürg-Peter Lienhard. © foto@jplienhard.ch 2019


Nachruf des Diogenes-Verlages, Zürich

Tomi Ungerer gestorben - 28.11.1931–9.2.2019

Der weltberühmte Zeichner, Maler, Illustrator und Autor Tomi Ungerer, geboren am 28.11.1931 in Straßburg, ist in der Nacht auf Samstag, den 9. Februar 2019, im Alter von 87 Jahren im irischen Cork gestorben.

»Meine Wurzeln sind im Elsaß, meine Baumkrone ist in Irland.« Die Hälfte des Jahres lebte Tomi Ungerer zuletzt auf einer großen Farm in einer zeitlosen Landschaft in Südirland. Seine Heimatstadt Straßburg, das Zentrum jener »Zwischenkultur« aus Deutschland und Frankreich, war sein zweiter Wohnort. Dort wurde ihm als erstem lebenden Künstler Frankreichs ein eigenes Museum gewidmet, das »Musée Tomi Ungerer – Centre international de l'Illustration«.

Tomi Ungerer wurde vielfach ausgezeichnet. Für seine Verdienste um die deutsch-französischen Beziehungen erhielt er 1992 das »Bundesverdienstkreuz« und 2008 den »Prix de l’Académie de Berlin«. 2005 wurde Tomi Ungerer mit dem »e.o. plauen-Preis« ausgezeichnet, 2014 ernannte ihn François Hollande zum »Commandeur de l’Ordre national du Mérite«, 2017 erhielt er den »Bayerischen Buchpreis« und 2018 wurde er von Präsident Emmanuel Macron zum »Commandeur de la Legion d’Honneur« ernannt.

Der Diogenes Verlag trauert um seinen dienstältesten Autor. Die Bücher von Tomi Ungerer erscheinen seit 1960 im Diogenes Verlag, darunter auch die beiden autobiographischen Titel »Die Gedanken sind frei. Meine Kindheit im Elsaß« und »Es war einmal mein Vater«. Seine Bilderbücher, darunter »Die drei Räuber«, »Der Mondmann«, sind längst Klassiker der Kinderliteratur. Zuletzt erschien von ihm u.a. der Katalog zur großen Ausstellung »Incognito« (Kunsthaus Zürich 2015, Museum Folkwang Essen 2016) mit Zeichnungen, Collagen und Plastiken. Seine Werke verkauften sich weltweit in über 17 Millionen Exemplaren.

Tomi Ungerers Vermächtnis, mit Erscheinungstermin 24.4.2019, ist das Bilderbuch »Non Stop«. Eine Geschichte über Freundschaft, Vertrauen und Menschlichkeit in dunklen Zeiten, für Erwachsene und Kinder. Ebenfalls für 2019 eingeplant ist der Band »America« mit 300 Bildern aus Tomi Ungerers Zeiten in den USA.

Bücher Tomi Ungerer im Diogenes Verlag:

https://www.diogenes.ch/leser/autoren/u/tomi-ungerer.html

https://www.tomiungerer.com/





Montreux-Jazz-Festival. Plakat von Tomi Ungerer. Mit freundlicher Genehmigung des Diogenes-Verlags, Zürich, © 2019



Von Jürg-Peter Lienhard

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