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Artikel vom 20.11.2005

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J.-P. Lienhards Lupe

Friss schneller Genosse…

Gedanken und Tatsachen rund um die zeitgenössische schweizerische Gastronomie

Von Jürg-Peter Lienhard



Steigen die Preise in den Beizen, geht man nur noch zum Trinken dahin - auch wenns dann am Schluss doch mehr kostet… Foto; J.-P. Lienhard, Basel @ 2005



Es ist ein «Gastro-Schock» - oder genauer: ein Kulturschock -, was man an der «Igeho 05», der «Internationalen Fachmesse für Gemeinschaftsgastronomie, Gastronomie und Hotellerie», erleben kann, wenn man gewisse Stände etwas genauer ansieht: Der italienische Teigwarenkonzern «Barilla» bietet beispielsweise ein System an, womit in genau 30 Sekunden ein vollständiges Pasta-Gericht auf den Teller gejettet werden kann…

Schneller, immer schneller muss heutzutage auf den Tisch, was zum Futtern gehört. Klar, lange auf sein Gericht im Restaurant warten zu müssen, kann mühsam sein. Andererseits wartet man gerne auf etwas, was schliesslich etwas Gutes werden soll.

Die immer bescheiden gewesene Tisch- und Esskultur in unserer Gegend hat sich in den letzten Jahren erst noch rasant verändert - dem Essen wird weder kulturell noch zeitlich dieselbe Bedeutung zugemessen, wie dies noch vor wenigen Jahrzehnten in der Gesellschaft verankert gewesen ist. Damals konnte man, wenn man ungebührlich war, mittags durch die Strassen gehen, und aus jedem Fenster tönte punkt 12.30 Uhr zuerst das Zeitzeichen von Radio Beromünster, dann hörte man Löffel klimpern - und alles war mucksmäuschen still, denn die obligatorischen Mittagsnachrichten der Schweizerischen Depeschenagentur waren angesagt…

Küchen ohne Köche

Was da auf die Tische der Schweizer Haushalte kam, hatte schon damals nichts mit «gehobener Esskultur» zu tun: Da gabs die «neumodischen» Spaghetti, die mindestens eine halbe Stunde lang gekocht wurden, bis sie matschig waren, oder aus dem Wasser gezogene Kartoffeln und nochmals Kartoffeln - vielleicht eine in Schweinefett gebratene «Röschti»…

Heute, so hat die Kollegin Christine Richard von der Kulturredaktion der «baz» unlängst festgestellt, «werden die Küchen immer schöner, obwohl immer weniger gekocht wird»… Ja, Kochen muss man eben lernen, muss Kenntnisse aus Chemie und Physik sowie Warenkunde auf die Zubereitung der Gerichte anweden können. Da nützt eine noch so «gestylte» Küche eben wenig, wenn man nicht mal die primitivsten Grundbegriffe des Kochens kennt.

Die Besten kochen in Altersheimen…

Wenn «immer weniger gekocht wird», wie ernähren sich denn die Zeitgenossen heute? Abgesehen von den Fast-Food-Buden und Beizen, wo man rasch über Mittag was aus der Hand fressen kann, führen viele Betriebe ihre eigene Kantine. Manche davon bieten hervorragend gekochte und in jeder Hinsicht ausgewogene Gerichte. Weil sie zeitlich «auf den Punkt gekocht» werden, nämlich für die Mittagspause, die knapp eine Stunde dauert, braucht Kantinen-Essen nicht warmgehalten oder aufgewärmt werden.

Die Kantinen-Gerichte werden sehr oft von den hervorragendsten Köchen zubereitet, die man sonst in der allgemeinen Gastronomie nicht findet: In vielen Altersheimen, Spitälern und Betriebs-Kantinen isst man viel besser als in gewissen «bekannten» Beizen in der Stadt! Warum? Die besten Köche haben Freude an ihrem Beruf, und Freude motiviert sie - aber in einem Restaurations-Betrieb vergällt ihnen die lange Arbeitszeit von morgens neun bis manchmal Mitternacht diese Freude. In Kantinen, in den Küchen von Altersheimen und Spitälern hingegen können diese Köche im Schichtbetrieb arbeiten, haben abends frei und im Turnus auch an den Wochenenden. Der «à la carte»-Stress, die «Bons»-Kocherei, fällt weg. Und klar ist, dass Altersheim, Spitäler oder gute Kantinen nur die besten Köche einstellen - die zweite Garnitur ist für die Beiz…

Wer mittags aus der Hand fressen muss, hat der dann vielleicht abends das Bedürfnis, sich gemütlich an einen Tisch zu setzen und bei einem klugen Gepräch auf ein gutes Essen zu warten? Mitnichten! Auch abends muss es schnell gehen, man hat erst recht keine Geduld, weil das Kino oder die Party warten, man unter «Ausgehen» eben «Action» versteht. Allerdings gibts da auch noch einen anderen Punkt: Wer unter «Restaurant» etwas anderes als Schnellfrass versteht, muss auch in Kauf nehmen, dass das Restaurant zu einem immer teureren Vergnügen wird.

Automation statt Personal

Wie also reagiert insbesondere die private Gastro-Industrie auf alle diese Herausforderungen durch Gesellschaftswandel, Preise, Konsumverhalten usw.? Mit dem Naheliegendsten: schneller, immer schneller und: billiger, immer billiger… billiger nicht, was dem Gast dann abgeknöpft wird, sondern billigere Kosten bei der Zubereitung, also beim Personal, bei den Köchen…

Um Kosten zu sparen wird in Technik investiert, die das Kochen und das zeitaufwendige Rüsten fast überflüssig macht: Bei den Tieren kommt das Futter aus dem Silo, bei den Menschen aus dem Automaten. 30 Sekunden für ein fixfertiges Nudelgericht, eine vollautomatische Kochmaschine, wo nicht mal weder Zeit noch Temperatur noch Humidität eingestellt, sondern nur auf ein Bildli gedrück werden muss. Was reinkommt ist alles aufs Gramm portioniert abgepackt, tiefgeühlt und frischbackvorbereitet…

Alexandre Dumas schrieb in seinem literarischen Kochbuch, dass in Frankreich jede Concièrge, jede Putzfrau wisse und könne, wie man eine Bouillon zubereite; sie haben zudem immer einen Topf davon rumstehen… In der Schweiz muss niemand eine Bouillon selbst herstellen, wurde doch hierzulande der «Maggi»-Würfel schon im vorletzten Jahrhundert erfunden. Doch wer einmal eine selbstgemachte Bouillon genossen hat - die übrigens an Material fast nichts kostet, ausser Zeit -, der kennt den Unterschied zwischen Bouillon und «Maggi»-Würfel! Aber wer mit Schnell- und Convenience-Frass aufwächst, wird dann mal gute Küche als «abscheulich» ablehnen…



…ein probates Mittel gegen steigende Kosten im Gastgewerbe ist das selber Kochen. Doch dazu brauchts nicht unbedingt diese «Traumküche»…


Die «Igeho 05 - Internationalen Fachmesse für Gemeinschaftsgastronomie, Gastronomie und Hotellerie» wird in Basel abgehalten und dauert vom 19. bis 23. November 2005. Lesen Sie den Bericht dazu via untenstehendem Link:

Von Jürg-Peter Lienhard

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

• Bericht und Fotoreportage von der Igeheo 05


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