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Artikel vom 17.01.2005

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Elsass - Allgemeines

Ganze Fassung & Fotosaga

Sauschön: Das Mülhauser Tram

Der erste Tatzelwurm von Presse und Publikum freudig eingeweiht

Von Jürg-Peter Lienhard



Mülhausens Bürgermeister, Jean-Marie Bockel, ist im Begriff die Trikolore für die Einweihungsbesucher durchzuschneiden. Doch ihm kommt im selben Moment in den Sinn, dass noch mehr ums Tram Verdiente aufs Pressefoto sollten, indessen war er danach vom Standpunkt des webjournal.ch-Fotografen aus nicht mehr zu erkennen… Alle Fotos: J.-P. Lienhard, Basel © 2005



MULHOUSE.- Der erste Tramzug («La Rame» genannt) für das künftige Mülhauser Tram ist am Samstag, 15. Januar 2005, von Bürgermeister Jean-Marie Bockel der Bevölkerung, den Bürgern zur Inbesitznahme übergeben worden. Das Publikum passiert zunächst ein Salon-Zelt, in dem eine Ausstellung über die Tramgeschichte Mülhausens sowie Computer-animierte Bilder der «trambefahrenen» Stadtansichten zu sehen sind und kann anschliessend über einen ebenerdigen Einstieg in den ersten der kommenden anderen 26 Tramzüge einsteigen.

Die Basler müssten sich das einmal vorstellen: Es gäbe in Basel kein grünes noch gelbes «Drämmli», und die Innenstadt wäre verstopft mit Autos; die Beizer und die anderen Kleinkrämer reklamierten ständig lauthals «fehlende Parkplätze»! Das «Ei des Kolumbus» wäre ein Tramsystem, womit der Verkehrskollaps verhindert werden könnte. Und jetzt ist die Phantasie der Basler Leser gefordert: Glaubt ein einziger unserer Basler Leser, dass es dann jemals in Basel ein funktionstüchtiges «Drämmli» gäbe? Viel eher eine Revolution mit Mord und Totschlage wäre die Folge!



«La Rame» - Industriedesign vom Feinsten aus La Rochelle: Der Alstom-Tramzug sieht sauschön aus, und vom rundum verglasten Führerstand aus sind alle «toten Winkel» einsehbar.



Man kann sich als Basler also farbig ausmalen, was es für die Mülhauser Behörden bedeutete, als sie das Projekt Tram ins Gespräch und in Angriff nahmen. Und wer sich dies immer noch nicht vorstellen kann oder will, der sollte mal derzeit durch Mülhausen zu fahren versuchen: Keine Strasse ohne Baustelle, gewohnte «Rennstrecken» und «Schleichwege» sind durch Umleitungen verbarrikadiert. Parkplätze in der Innenstadt suchen: so gut wie aussichtslos.



Ebenerdige Einstiege sind an allen Haltestellen des Mülhauser Tramnetzes vorgesehen. Die Boden-/Schienenhöhe ist allerdings grösser als bei den Basler Combinos, weil die Alstom-Variante grössere und wohl auch problemlosere Räder hat.



Aber gleichwohl - das «Chaos» neigt sich langsam dem Ende zu: Bereits sind 70 Prozent des Tramschienen-Netzes verlegt, und schon im Mai sollen alle Schienen installiert sein. Dann allerdings geht es noch bis Mitte 2006, bis die gelben «Melhüüser Tramways» ordnungsgemäss verkehren. Zu welchem Fahrtenpreis, ist noch nicht ausgerechnet, und schon gar nicht politisch abgesegnet.



Schlicht umwerfendes Design des Führerstandes - einem Flugzeug-Cockpit nachgebildet und rundum zum Fahrgastraum bis an den Boden verglast. Das erhöht auch das subjektive Sicherheitsgefühl der Passagiere.



Apropos Preis: Die 27 Tramzüge kosten die Stadt rund 62 Millionen Euros; der Endausbau des zirka 22 Kilometer langen Liniennetzes dürfte 340,2 Millionen Euro übersteigen. Doch schon sind Folgeprojekte in Planung: die Traditionsstrecke St–Amarin–Thann–Mulhouse soll gewissermassen als S-Bahn ausgebaut werden. Vielleicht wird auch die Idee einer Verbindung nach Guebwiller ins Lauchtal weiterrealisiert und bindet dannzumal das Ecomusée d‘Alsace ans Mülhauser S-Bahnnetz an.



Das Mülhauser Publikum übt sich schon mal in Sachen «Druggede». Der Fahrgastraum wirkt sehr stabil, «gebrauchswiderstandsfähig» und dürfte auch sonst mehr als 300'000 Kilometer problemlos aushalten können…



Durch die Bauarbeiten mussten die Mülhauser bereits wieder lernen, ihre Kommissionen zu Fuss zu unternehmen - wobei aber der Hauptharst der Automobilisten aus der Agglomeration herbeifährt. Und um die etwas günstiger auf die vielen Umleitungen zu stimmen und sie bereits jetzt auf das öffentliche Verkehrsmittel zu trainieren, hat die Stadt an den Ausfallstrassen in allen Himmelsrichtungen Grossparkplätze eingererichtet. Von dort fährt sie ein fahrplanmässiger Bus in die Innenstadtgebiete. Gratis, wohlverstanden, und die Parkplätze sind erst noch bewacht…



Auch die Einstiegszone ist sehr geräumig, wie auch der Platz, wo Kinderwagen und Rollstuhlgänger sich aufhalten können. Das Fehlen von Sicherheitsgurten für Behindertenvehikel hat sich wohl an der Praxis orientiert - Behindertenfahrzeuge haben nämlich eine Bremse, wie Kinderwagen auch.



Es war daher abzusehen, dass die Ankunft sowie die «Begehung» des ersten Tramzuges die Mülhauser Bevölkerung auf Trab bringen würde - zumal Kaffee-Kuchen und Apéritif à l‘Alsacienne lockten: Bürgermeister Jean-Marie Bockel wurde bei seiner Eröffnungsansprache in der begleitenden Ausstellung über die Geschichte und das Projekt «Mülhauser Tram» fast verdrückt. Die Neugier auf das «Innenleben» des Alstom-Fabrikates war enorm und überraschte allenthalben: Die Tatzelwürmer müssen punkto Platz und Komfort im Vergleich mit den unseligen Basler Combinos keinen Vergleich scheuen!



Modern auch das Design der gepolsterten Sitze: Der Entwurf hatte schliesslich die ruhmreiche Gestaltungs-Tradition der ehemaligen Textilmetropole zum Vorbild!



Interessant am Mülhauser Tramsystem ist die Spurweite - nämlich Normal- oder Eisenbahnspur, und zwar in der ganzen Stadt. Die Tramzüge allerdings sind nicht breiter, als herkömmliche Strassenbahnen - Trams eben. Doch die Wahl der Eisenbahnspur bringt der Mülhauser Agglomeration enorme Vorteile, sind doch die traditionellen Eisenbahnlinien aus dem St-Amarin-Tal und aus Guebwiller erst unlängst eingestellt worden, wobei das Schienennetz noch grösstenteils vorhanden und unbehelligt ist. Somit könnten die Trams dereinst einmal als Vorortslinien weitergezogen werden und den Agglomerations-Induvidualverkehr eindämmen helfen.



Fotosaga «La Rame» - Weitere Bilder




Mülhausen besass bis nach dem Zweiten Weltkrieg ein ausgedehntes Strassenbahnnetz, das aber durch die kriegerischen Handlungen derart in Mitleidenschaft gezogen wurde, dass die Wiederherstellung zu teuer kam. Gerade Mülhausen hätte aber Anspruch auf Reparaturzahlungen gehabt, die der Mashallplan jedoch nicht vorsah…





Ein Trammotorwagen mit einem «Summerdrämmli»-Anhänger, «la baladeuse» auf französisch genannt, im Jahr 1910 in der «Wild Maa»-Gasse - heute rue Sauvage.





Beschädigter Motorwagen (links) im kriegszerstörten Mülhausen im Zweiten Weltkrieg.





Bürgermeister Bockel ruft an der Präsentation des ersten Tatzelwurmes Presse und Bevölkerung Mülhausens «zum Durchhalten» bis zur Inbetriebnahme des fertigen Strassenbahnnetzes auf…





Mülhausen by Night mit dem Europaturm: So sieht die bald Wirklichkeit werdende «Vision» des Mülhauser Trams an der Haltestelle Bollwerk vis-à-vis vom Lycée Montaigne aus, das nach dem katholischen Philosophen benannt ist, weil der sich gegen die Hugenottenverfolgung stellte. Mülhausen ist ja, wie Berlin auch, eine ehemals Hugenottenstadt.





Vorbei an den imposanten Arkaden der ehrwürdigen Société Industrielle de Mulhouse (SIM)…





…zur Mertzau (wenn mich nicht alles täuscht), wo sich in der Nähe die Busdepots befinden und wo auch die künftigen Tatzelwürmer eingestellt werden.





Peret vor der «Tagessicht» der Haltestelle in der rue Franklin mit dem imposanten Europaturm im Hintergrund. Er hat das Design des Mülhauser Trams entworfen, ist Spanier aus Barcelona und will partout nicht mit seinem bürgerlichen Namen genannt werden: Peret ist sein Künstlername.





Noch ein Detail vom Einstieg und ein Fragment von Perets Design: Die Vorgabe war Gelb und Rot, gewissermassen als Automobilisten-Schreck…





Riesenbaustelle Avenue Robert Schuman - die meisten Trassees können auf flachem Gelände gebaut werden.





Automobilverkehr-Nadelöhr Jung-Tor (Porte Jeune) - links der Europaturm - gewissermassen das Herz Mülhausens: Dürfte dann in Zukunft nicht mehr vom Auto, sondern vom neuen Tram beherrscht sein.

Von Jürg-Peter Lienhard

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