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Artikel vom 05.03.2007

Mit Stumm unterwegs

-stens Bücher

Gleich hinter der Haustür eine halbe Treppe abwärts - Kunststein überall, und da steht sie schon und wartet vor -stens Bücherkeller, von der Klingel herausgerufen: Raki Möller

Von Reinhardt Stumm



Die Gestelle lichten sich kaum, obwohl seit vier Jahren Bücherfreunde und -Sammler ständig vorbeischauen: Raki Möller in der -sten'schen Bücherhöhle. Alle Fotos: J.-P. Lienhard, Basel © 2007


Wer kennt Raki Möller? Eigentlich heisst sie Erika, Lebensgefährtin von -sten. Und wer -sten nicht mehr weiss, darf gleich zu lesen aufhören. Hanns U. Christen (-sten), Bücherschreiber, Journalist und insbesondere lebenslänglicher Verfasser des samstäglichen «Märtbrichts» in der Basler «National-Zeitung» und der späteren «Basler Zeitung». Ohne «Märtbricht» gab es keine «Nazi-Zyttig», und es gab keinen Deutschen, der nicht angesichts dieses Zeitungstitels ein ungläubiges Gesicht machte und den Schluckauf kriegte. «Nazi-Zyttig», das gibts doch nicht!

Derweil erzählte -sten stolz, dass es in langen Jahrzehnten keine Samstagsnummmer - keine einzige! - ohne «Märtbricht» gab. Was das heisst, kann nur abschätzen, wer wie -sten als Glossen- oder Kolumnenschreiber unter dem gleichen Joch krummgeht.

Dabei machte er keinewegs den Einruck, krumm zu gehen, im Gegenteil. Ich erinnere mich mit Vergnügen der Anekdoten, die er gern zum besten gab - wie er Swissair-Stewardessen irgendwo in der Welt dazu überredete, seine Texte mitzunehmen, wie er Telefonattacken ritt, um von irgendwoher einen Text zu diktieren, der am Samstag ins Blatt musste. Keiner fehlte, nie! Dass er darauf stolz war, bedarf keiner Entschuldigung.



Raki Möller mit ihrem verstorbenen Lebenspartner -sten im Garten ihres Hauses in Village-Neuf bei einer der beiden Lieblingsbeschäftigungen: Raki Möller ist eine der kompetentesten Weinfachfrauen der Schweiz, was dasselbe für -sten als Wein- und Koch-Journalist gilt. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2007


Dabei waren seine Marktberichte alles Mögliche, nur (meistens) keine solchen. Wie sollte er auch in Aserbeidschan oder in Pompeji wissen, was Salat oder Spargel auf dem Basler Samstagsmarkt kosteten. Die dazu nötigen Informationen beschaffte in den Abwesenheitsfällen eine Person seines Vertrauens - und hängte sie an den Haupttext an, der sich einmal mit den kosmetischen Geheimnissen ägyptischer Prinzessinnen, ein andermal mit der Schlachtordnung der Truppen Alexanders in Kleinasien oder mit der Tee-Ernte in Kenya beschäftigte.

Denn -sten war ein Allrounder, ein wissbegieriger Universalstudent (wenn schon nicht Gelehrter), ein hellwacher Neugieriger, der sich beneidenswert sicher auf einem soliden Bildungsfundament bewegte. Und er war, was dazu passt, ein lesewütiger Büchernarr, vor dem keine Buchhandlung sicher war. Ich erinnere mich, dass ich - ein naseweiser Student der Anglistik - ihn in der damaligen Buchhandlung Tanner in der Streitgasse kennenlernte und ein bisschen pikiert war über das, was ich damals als schiere Hochnäsigkeit empfand - diese Fragen nach «was lesen Sie gerade?», «Was halten sie von dem und dem Buch?» - «Ah, Anglistik, haben sie sich auch schon mit Stamm herumgeärgert?»



Noch harren rare antiquarische Kostbarkeiten im Fundus von -stens ehemaliger Riesen-Bibliothek der Entdeckung durch kennerische Liebhaber. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2007


Dass er mitten aus eigenem Erleben heraus sprach, fragte, argumentierte, urteilte, stritt, begriff ich erst viel später - da war -sten für mich schon so etwas wie ein Heiliger am Journalistenhimmel, ein fragloser Könner, den man nur beneiden konnte.

Er starb am 11. Januar 2003, kurz vor seinem 86. Geburtstag, dem 2. Februar 2003, das ist nicht so lange her. Die Spuren, die er hinterliess, sind immer noch kräftig. Und lesbar (wenn mir das Wortspiel erlaubt ist). Denn -sten war ein Büchernarr. Büchernarr, das war für mich bisher ein Wort, mit dem ich keine besonders intensive Vorstellung verband. Ok, ein Mensch, der Bücher liebt. Bücher, die aus seinen Interessensgebieten stammen, mit seiner Arbeit, seinen Liebhabereien, seinen Spezialitäten zu tun haben. Randgebiete eingerechnet.

Dann kam ich in den Keller, an dessen Tür Raki stand. Ein Spitzname, den sie aus der Türkei mitbrachte, wo sie - unvorstellbar! - mit -sten in einem Männerrestaurant - gibt es andere? - Raki bestellt hatte. Am nächsten Morgen kratzten Schulkinder, die es auch schon wussten, spielerisch an der Zeltwand und riefen leise: «Raki! Raki!»



Es gibt kaum ein Wissensfach, wofür sich -sten nicht dokumentiert hätte - selbst in historischen Werken des Segelschiffbaus, die ein ganzes Gestell einnehmen. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2007


Die Kellertür öffnet sich auf einen schmalen Gang, den Bücherregale links und rechts noch schmaler machen. Türöffnungen rechts und links führen in geräumige, fensterlose Zimmer (wir sind ja im Keller), die bis auf schmale Gänge vollgestellt sind - mit Büchergestellen. Bis unter die Decke vollgestopft mit Büchern. Es ist unglaublich! Eine ins Unterirdische verbannte Stadtbibliothek. Tausende von Bücherrücken, stapelweise Goldschnitt oder Weissschnitt, reihenweise Broschur und Hardcover, Folio, Quart und Octav, und ich stelle genau die Frage, über die ich immer lache, wenn ich Besuch habe: Hat er das alles gelesen?

Das meiste ja, bekräftigt Raki, die sich in diesem Revier erstaunlich gut auskennt. Es ist wie immer in Bibliotheken - alle Bücher nach allen Regeln der Kunst sortiert und griffbereit, das ist fast unmöglich - nicht einmal Bibliotheken vom Rang einer Universitätsbibliothek Basel schaffen das. Den Spruch «ein verstelltes Buch ist ein verlorenes Buch» kenne ich nicht ganz zufällig von dort.



-sten war sehr bewandert in klassischer Musik, aber er hatte auch durchaus Freude an populärer Musik, zumal, wenn sie eine gewisse Qualität in Text und Vortrag aufwies. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2007


Das ganz und gar Erstaunliche ist aber, dass die Schöpfer dieser Bücher-Imperien sich bis in die letzten Ecken selbst da auskennen, wo für andere überhaupt keine Ordnung mehr erkennbar ist. Auch für -sten war das kein Problem - und Raki war dabei. Will sagen: Sie kennt sich erstaunlich gut aus. Weiss nun freilich nicht, was mit diesem Reichtum beginnen. Der Mann, der diese Bibliothek aufbaute, war Universalist, war eine Art Enzyklopädist, ein Mann, der sein Wissenspuzzle Stück für Stück zusammensetzte, der jedes Stück kannte. Die Frau, die jetzt vor diesem Reichtum steht, kämpft um Souveränität, möchte auf sinnvolle Weise nutzbar machen, was hier angehäuft ist - und hat trotz der schieren Unüberwindlichkeit des Problems den Mut nicht verloren. Wozu man ihr nur gratulieren kann!

Doch, es gibt Perspektiven, Buchhandlungen in London, bei denen -sten Stammkunde war, erste Antiquariate, die ganz gezielte Interessen und Geduld haben, Liebhaber, die blätternd und lesend Stunden in ihrem Keller verbringen, Spezialisten, die genau wissen, was sie suchen - und die wie Jagdhunde für Kaninchen mit Spürnasen für Buchtitel begabt sind.

Schade eigentlich, dass diese Fundgrube (es ist ja buchstäblich eine Fundgrube!) eines Tages leer sein wird, dass diese Quelle bibliophilen Reichtums irgendwann zu sprudeln aufhört. Aber das ist noch lange hin!




-sten in der Basler Wohnung von Raki an Silvester 2002 - das allerletzte Foto-Porträt von ihm. Elf Tage vor seinem Tod als Folge einer Lungenentzündung, die er sich auf der eisig kalten Terrasse holte, als er das Feuerwerk auf dem Rhein verfolgte, erfreute er sich noch bester Gesundheit und absolut geistiger Frische. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2007




Noch zu seinen Lebzeiten im Frühjahr 2002 trennte sich -sten von seinen Büchern, wovon Raki einen verschwindend kleinen Teil an der «Foire aux livres» in St.-Louis feilbot. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2007




Als «hervorragende Ware» bezeichnete ein professioneller Antiquar die Auswahl aus –stens Büchersammlung an der «Foire aux livres» von St-Louis 2002. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2007




Ein kleiner Ausschnitt aus der Sammlung zur Literatur des Ersten Weltkrieges, die von der «Société d‘Histoire de St-Louis» zu einem Freundschaftspreis erworben worden war. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2007




Das Interesse an -stens Büchern an der Buchmese von St-Louis war gross, weil viele Bücherfreunde auch aus Basel kamen. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2007



Wer besondere Bücher sucht zu verschiedensten Wissensgebieten, englisch, französisch oder deutsch, Enzyklopädien und antike Bücher, aber kaum Belletristik, Erlebnisbücher oder Forschungsberichte, kann telefonisch bei Frau Erika Möller um einen Besichtigungstermin in -stens Bücherkeller am Sternengässlein in Basel ersuchen - jeweils donnerstags ab 17 Uhr und nur auf Voranmeldung: Tel. (Beantworter):

Von Reinhardt Stumm

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