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Artikel vom 16.06.2006

Elsass - Kultur

102 Jahre Pottasche im Kalibecken

Am Sonntag, 18. Juni 2006, von 10 bis 18 Uhr, wird im elsässischen Freilichtmuseum Ecomusée d'Alsace in der Kali-Mine «Rodolphe II» ein farbenprächtiges Fest der Körperschaften der Grubenveteranen abgehalten

Von Jürg-Peter Lienhard



Die Nachfahren der aus Polen ins Elsass geholten Bergbau-Fachleute haben ihre polnischen Traditionen bis heute wachgehalten und zeigen ihre Volksbräuche, jeweils an der Saison-Eröffnung des vom Ecomusée d'Alsace betriebenen Minen-Museum «Rodolphe II». Foto Ecomusée d'Alsace, Ungersheim © 2004



UNGERSHEIM BEI MULHOUSE (ELSASS).- Die Geschichte der Entdeckung des immensen Kali-Vorkommens im Elsass ist die Geschichte eines richtig geträumten Traumes, den das Gutsfräulein Amalie Zürcher vor über hundert Jahren in ihrem Bett träumte: Dass unter ihrem Bett auf ihrem Gut ein Schatz schlummere. Es war die Zeit des «Petroleums».

Doch statt des «Schwarzen Goldes» fand Fräulein Zürcher das «Weisse Gold», Pottasche genannt und chemisch Kali geheissen. Was daraus wurde, welcher Reichtum dem Elsass damit beschert und welche Geschichte daraus entstand, kann man am Sonntag, 18. Juni 2006, im Industriequartier des Ecomusée d‘Alsace, in der mächtigen «Mine Rodolphe» erleben.



So kommen die Besucher des Ecomusée d'Alsace zum Fest in der «Mine Rodolphe II»: Mit einem Zug von der Station «Ecomusée-Dorf» und im renovierten Doppelstock-Panorama-Waggon von 1932. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2006



Im Jahr 2004 öffnete das Ecomusée d'Alsace zum Jubiläum des 100. Jahrestages der Entdeckung des elsässischen Kalis, die mächtigen Gebäude der «Mine Rodolphe II» dem Publikum, in dessen Eingeweide ein «Besichtigungsstollen» mit einer modernen Aufzugsanlage eingebaut worden ist sowie das Motorenhaus des Förderliftes, das von freiwilligen ehemaligen Mineuren vollständig renoviert wurde.

Der Aufzug bringt die Besucher ins luftige achte Stockwerk. Luftig ist dabei wörtlich gemeint, denn das 1975 stillgelegte Hauptgebäude verfügt über keine einzige seiner Tausenden von Fensterscheiben mehr. Von aussen meint man, es mit einer Fabrikruine zu tun zu haben, was es ja auch ist und bleibt - denn niemand könnte je die Summe aufbringen, die Fensterscheiben und verrostete Maschinenanlagen kosten würden, würde man die ausgediente Fabrikanlage wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzen oder zumindest ganz zu restaurieren versuchen.



Die ehemalige Gruben-Feuerwehr in
ihrer Gala-Uniform. Foto: Ecomusée, Ungersheim © 2004




So hat das Ecomusée d‘Alsace genau dasselbe gemacht, was Burgenfreunde mit Burgruinen machen: Es hat das Skelett begehbar gemacht, hat die Hülle stehengelassen und im Innern auf verschiedenen Stockwerken einen Minenschacht eingebaut, worin man trockenen Fusses und ohne Staub und Hitze, einen Eindruck von einem der über 700 bis 900 Meter tiefen ehemaligen Stollen erleben kann.

Wenn die Besucher mit einem modernen Lift ins oberste Stockwerk gelangt sind, können sie von dort auf das ganze Kalibecken hinuntersehen, aber auch viel weiter noch, nämlich bis in den Schwarzwald und zum nahen Belchen in den Vogesen. Das Kalibecken, französisch «Bassin potassique» genannt, dessen Etymologie von der deutschen Bezeichnung Pottasche stammt, war bis vor ganz kurzem übersät mit über zwölf dieser riesigen Industrieanlagen. Niemand hätte sich noch vor fünf Jahren träumen lassen, dass diese die ganze Landschaft prägenden Fabriken praktisch spurlos vom Erdboden verschwinden könnten.

Sie verschwanden tatsächlich unglaublich rasch, und nur noch die Mine «Rodolphe II» vor der Haustüre des Ecomusée d‘Alsace blieb teilweise erhalten, weil das Ecomusée d‘Alsace das Gelände mitsamt den Gebäuden mit ihrer typischen Architektur kaufte und damit rettete. Allerdings waren in der Zeit, als das Ecomusée d‘Alsace 1982 auf diesem Minengelände seinen Anfang nahm, bereits drei Viertel der unglaublich imposanten Industrieanlage schon abgerissen - der Rest ist zwar immer noch mächtig genug!



Die Maschinenhalle mit den Generatoren für den Aufzug aus 700 Meter Tiefe ist von Freiweilligen unter den ehmaligen Kumpels wieder restauriert worden. Die imposante Technik stammt noch aus der Zeit der deutschen Besetzung um 1890. Foto J.-P. Lienhard, Basel © 2006



Nun aber ist die Ecomusée-Mine «Rodolphe II» der einzige überlebende Zeuge einer unglaublichen Geschichte, einer Industriegeschichte, die in ihren Anfängen über 35‘000 Menschen Arbeit gab, die in diesem flachen Riedgebiet mehrere Siedlungen mit einem imponierenden sozialen Konzept in Reissbrett-Anordnung aus dem Nichts entstehen liess, die industrielle Erfindungen und Entwicklungen hervorbrachte wie nirgends sonst. Die Kali-Industrie war auch während langer Zeit Verursacherin einer immensen Umweltverschmutzung, indem sie riesige Mengen salzhaltiger Abwässer einfach in den Rhein ableitete.

Solche Sachen erfährt man, wenn man mit dem Lift im Eingeweide der Fabrik bis unters Dach hochfährt und dann Etage um Etage durch dunkle Gänge geleitet wird, wo man mit Kopfhörern, Grubenlampen und -Helm ausgestattet, multimedial die Geschichte von Fräulein Zürchers Traum und dem Ende davon erfährt.

Das Kali ist nämlich exakt im hundertsten Jahr seiner Ausbeutung zu Ende gegangen; man wusste schon seit Jahren, dass die Vorräte sich erschöpften, und die Arbeitsplätze in den Stollen stets weniger würden.

Das Ecomusée d‘Alsace hält mit der Mine die Erinnerung an diese Geschichte wach und lässt dadurch vielen Gedanken freien Lauf, die sich mit den Zusammenhängen von Gründung, Entwicklung und Ende einer Schwerindustrie beschäftigen und die sich um Mensch, Arbeit und…Kapital, Ausbeutung, Umweltschutz und Wohlstand drehen mögen.

Im 100. Jahr der Entdeckung des Kalis im Elsass, im Jahr 2004, schloss die letzte Mine, doch die Mine «Rodolphe II» wurde im Ecomusée d‘Alsace «wiedereröffnet». Das Jahr 2004 erklärten die stets eng mit dem Kali verbundenen früheren Mineure und das Ecomusée d'Alsace somit als «Jahr 0» in der Zählweise der Geschichte nach dem Ende des Kali-Bergbaus. In Anbetracht dieser neuen Epoche des «Kalis» stellten sich viele ehemalige Kumpels und Arbeiter des Kalibergbaus schon Jahre zuvor freiwillig zu Verfügung, um aus den Ruinen und den verrosteten Schwerindustrie-Anlagen und -Maschinen gewissermassen eine Gedenkstätte für die Geschichte des Kalibergbaus zu schaffen. Indem vieles wieder gangbar gemacht und zerfallene Teile gesichert wurden, so dass Besucher gefahrlos in den Anlagen herumgeführt werden können, damit sie sich von den Baulichkeiten und ihrer Geschichte tief beeindrucken lassen können.



Die Nachfahren der polnischen Mineure pflegen ihre Volksbräuche, obwohl sie längst nicht mehr polnisch reden, sondern elsässisch - aber das auch bald nicht mehr… Foto ecomusée d'Alsace, Ungersheim © 2004



Der zweite Jahrestag der Eröffnung des Industriequartiers am Sonntag, 18. Juni 2006, also das Jahr 2 nach Kalibergbau-Ende im Elsass (0 + 1 macht 2…) wird wieder mit einer Sonderveranstaltung begangen: Eine Vielzahl von Vereinigungen aus Kultur und Sport, Gesellschaften zur Pflege der Geschichte, von Sammlern und lokalen Künstlern werden ihre Aktivitäten vorführen. Musik, Gesang, Tanz sowie Sportvorführungen werden an diesem Tag im Schatten der Schachtsgebäude «Rodolphe II» von 10 bis 18 Uhr zu erleben sein.

Um 10 Uhr wird ein polnisch-elsässischer Gottesdienst zu Ehren der verstorbenen Bergleute abgehalten, insbesondere im Gedenken an fünf Kumpel, die auf den Tag genau vor 30 Jahren, am 18. Juni 1976, bei einem Bergwerksunglück in Berrwiller Ihr Leben gelassen haben.

Unter den ehemaligen Minenleuten gibt es viele polnischer Abstammung. Ihre Vofahren wurden um die Jahrhundertwende des letzten Jahrhunderts ins Kalibecken als Gruben-Fachleute und Mineure geholt. Bei der Entdeckung des elsässischen Kalis war das oberelsässische Ried noch reines Landwirtschaftsgebiet mit Hard- und Auenwald dazwischen. Polen verfügte damals über eine grosse eigene Bergbauindustrie, zumal für Kohleförderung. Die ins Elsass geholten polnischen Fachleute hatten sich zwar perfekt integriert, haben aber ihre Traditionen beibehalten und üben sie noch heute in vielen Vereinen aus. Ihe Auftritte sind wegen ihrer Farbenpracht stets grosse Attraktionen an Festen.

Und davon können Sie sich am Sonntag, 18. Juni 2006, selbst überzeugen, indem Sie das Ecomusée d‘Alsace und das davorliegende Minenmuseum besichtigen!


Von Jürg-Peter Lienhard

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