Druckversion von "Was ist denn der Mensch?" auf webjournal.ch


Artikel vom 05.04.2006

Mit Stumm unterwegs

Was ist denn der Mensch?

Eine eigene Inszenierung von Platons «Gastmahl» brachte die Goetheanum-Bühne im Schreinereisaal zur Premiere und ein wortgewaltiger Abend mit wundervoll wortgewaltigen Schauspielern

Von Reinhardt Stumm



Wer sich eine Ahnung von Rhetorik aneignen will, MUSS Platon lesen - wer wissen will, was hohe Kunst des Sprechens heisst, MUSS ins Goetheanum zum Zuhören gehen! Bild: Torsten Blanke als Alkibiades, Athener Feldherr und Politiker. (Alle Fotos: Goetheanum Basel @ 2006, Legenden: jpl)


Zu behaupten, dass aufmerksames Zuhören in den Stand versetzte, zu begreifen, welche Eros-Konzepte (um es modern auszudrücken) Platon im «Gastmahl» (Symposion), in diesem Wettstreit in Lobreden auf Eros, einander gegenüberstellt, wäre (zumindest für mich) reinste Vermessenheit. Ich kann es nicht.

Lexika und kurzgefasste Geschichten der griechischen Philosophie mögen helfen – ich lerne, dass die zentrale philosophische These dieses Werks diese ist, «dass der Mensch die Einsicht in die Wahrheit nur unter grossen Mühen und in langsamer schrittweiser Annäherung e contrario gewinnen kann.»

Will sagen (und da fällt mir doch wenigstens ein, dass Platon und Dialektik zusammengehören), dass sich Lebenswahrheit, dass sich Weisheit aus der argumentativen Gegenüberstellung von Wissen, Einsichten und Erkenntnissen herausschält, greifbar und begreifbar wird.

Ein Zweites gehört in diesem Fall dazu, und dieses Zweite bedarf keiner weitschweifigen Erläuterung: Wer sich unter Umständen, wie sie hier geschildert werden, auf Wahrheitssuche begibt, wer seine Zuhörer mit geradezu missionarischem Eifer von sich selbst zu überzeugen sucht, bereitet allen das denkbar grösste Vergnügen – jeder Zuhörer argumentiert mit spielerischem Ernst gegen die vernommenen Behauptungen und findet die grösste Befriedigung darin, mindestens in diesem Augenblick verstanden zu haben und widerlegen zu können.



Szenenfoto: Peter Engels als Philosoph Sokrates.

Das ist der Abend, zu dem die Goetheanum-Bühne gegenwärtig in die Schreinerei, jene geräumige Werkstatt am Hang oberhalb des Hauptbaus, einlädt. Knappe drei Stunden ein knisterndes, funkelndes, farbiges Feuerwerk der Argumente, die alle auf dasselbe hinauslaufen: Lob des Eros, physisch und geistig. Intellektuelle Durchdringung der Wirklichkeit, Aufbau einer rationalen Weltordnung und die Rolle des Menschen in dieser Welt.

Was wir als gewissermassen ungeübte Zuhörer erleben, ist freilich weitaus weniger die Einsicht in Gedankenkonstrukte, als das Vergnügen an der leidenschaftlich behaupteten Solidität der Argumente, am rednerischen Schwung, an der hellen Glut in der Esse der Gedankenschmiede, die ganz körperliche Lust bereitet. Ist die zustimmende Lust an der Überredung, das Vergnügen am Stellen rhetorischer Fallen, in die andere hineinlaufen, das Hochgefühl am entwickelten Scharfsinn, daran, unwiderlegbare Formulierungen zu finden – und umgekehrt der unbändige Spass daran mitzuerleben, wie der argumentative Widersacher in seinen eigenen Schlingen gefangen wird – und da ist es vor allem Platos Verbeugung vor seinem Lehrer Sokrates. Ein Spiel, wenn es sich so naiv sagen lässt, in dem haufenweise Schlüssel ausprobiert werden, ohne dass ganz klar wäre, wo das richtige Schloss ist.

Kann nichts als Reden, kann ein Text, der irgendwas um 2400 Jahre alt ist, so spannend sein? Ja. Und noch einmal: Ja!

Zwei Damen, acht Herren. Kolonialstil – die Männer erinnern in ihren tropenmässigen hellen Anzügen an britische Kolonialzeiten, erdfarbenes Licht, die weite, flache Spielfläche, auf drei Seiten von Sitzreihen begrenzt, irgendwo eine alte, einst weiss emaillierte Kuhweidenbadewanne, drüben Agathons Haus als weisses, leichtes Bauwerk – Simsbalken und Pfosten, nichts drückt, nichts drängt, alles aufs Wort gestellt – und das können sie, das Wort, diese Schauspieler! Theaterkritiker nennen das vermutlich bürgerliches Theater. Gottseidank gibt es das noch oder wieder.




Szenenfoto: Barbara Stuten als Priesterin Diotima.


Die Inszenierung ist von Jobst Langhans. Von ihm haben wir auf der grossen Goetheanum-Bühne zuletzt «Maria Stuart» gesehen. Und nichts vergessen. Das Bühnenbild ist von Roy Spahn. Gastmahl-Premiere war am 31. März 2006.

Die nächsten Vorstellungen sind am
Freitag, 7. April 2006, 19.30 Uhr
Sonntag, 9 April 2006, 19.30 Uhr
Freitag, 12. Mai 2006, 19.30 Uhr
Samstag, 13. Mai 2006, 19.30 Uhr
Samstag, 27. Mai 2006, 19.30 Uhr
Sonntag, 28. Mai 2006, 15.30 Uhr


Als Dienstleistung an die Leser von webjournal.ch hat die Redaktion «Apologie - Die Verteidigung des Sokrates» als PrintJob für die Herstellung einer doppelseitigen Broschüre im Forma A5 erzeugt und im PDF-Format zum Herunterladen via untenstehendem Link bereitgestellt. Stellen Sie dazu Ihren Drucker auf «Doppelseitig Drucken» ein. Wenn Sie keinen Drucker haben, der automatisch doppelseitig druckt, geben Sie im Druckdialog zuerst «nur gerade Seitenzahlen drucken» ein, kehren nach dem einseitigen Druck den Papierstoss um, rotieren den Stoss um 180 Grad, legen ihn wieder in die Papierkassette ein, geben im Druckerdialog «ungerade Seiten drucken» ein und starten den Druckvorgang erneut. Danach müssen Sie die A4-Bögen einfach falten - und Sie haben eine Broschüre im Format A5, die Sie auch heften können. Wie immer ohne Gewähr.

Von Reinhardt Stumm

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

http://www.goetheanum-buehne.ch/1254.html

http://www.philosophenlexikon.de/platon.htm

http://www.webjournal.ch/uploads/pdf/1144202160.pdf



Druckversion erzeugt am 10.03.2021 um 23:49