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Artikel vom 18.08.2015

Geschichte

Mit Broschüre zur Kapitulation zum herunterladen

Vor 200 Jahren hat die Festung Hüningen aufgegeben

Je nach eingenommener Perspektive ist es eine «bedingungslose Kapitulation» oder nur der «Auszug der Garnison» - der unterschiedliche Sprachgebrauch deckt auf…

Von Jürg-Peter Lienhard



Der Schlachtenmaler Jean-Baptiste Détaille nahm es mit den Details nicht sehr genau. Die monumentale Kulisse mit der Zugbrücke des dramatisch dargestellten Handschlags zwischen Sieger und Besiegtem nach der Kapitulation ist reine Fantasie. © foto@jplienhard.ch 2015


Am 28. August 2015 ist es 200 Jahre her, dass der Kommandant der Vauban-Festung Hüningen mit seinem nach tagelangem Beschuss durch die alliierten preussisch-österreichischen Truppen total zermürbten Haufen aufgeben musste. Im Andenken daran gibt die Stadt Hüningen am 29. August eine Sonder-Briefmarke heraus, zeigt in der Garnisonskirche eine Ausstellung und eröffnet hinter dem Festungs-Museum einen nach Art des königlichen Landschaftsarchitekten von Versailles, André Le Nostre, gestalteten symmetrischen Lustgarten. Lesen Sie auch die Geschichte der letzten Tage der Festung Hüningen, die Sie mit untenstehendem Link im Format PDF herunterladen können.
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Die Wirklichkeit in der Geschichte erfassen wollen, ist selbst nach 200 Jahren noch immer eine Frage der Perspektive. Und dadurch lassen sich Ursachen und Wirkung meist nach Belieben interpretieren. Der Chefredaktor einer früher angesehenen Basler Zeitung jedenfalls vertat sich gottseidank die Chance, in Zusammenhang mit der Kapitulation - oder dem Auszug der Garnison - von Hüningen, geschichtsklitterische Spekulationen aufzustellen: Weil Basel als Aussenposten der von den napoleonischen Revolutions-Truppen besetzten Eidgenossenschaft ziemlich isoliert dem Kriegsgeschehen der letzten 100 Tage Napoleons ausgesetzt war, musste es sich «Neutralitätsverletzungen» und aufgezwungene Massnahmen «fremder Mächte» gefallen lassen. Und dies ziemlich kleinlaut, weil die europäischen Mächte ihre Muskeln spielen liessen und der Eidgenossenschaft ihren Willen aufzwangen. Die eidgenössische «Neutralität» spielte nicht, aber Basel hatte Glück, dass die siegreichen Alliierten mit der noch zu gründenden Schweiz ihre strategischen Interessen zu verwirklichen planten und sie daher als «Pufferstaat» erhalten wollten.



Der schönste Tod ist der Heldentod, denn nur der schafft es auf eine Fahne - die dann im Museum hängt… © foto@jplienhard.ch 2015


Andererseits zeigt sich noch heute, wie die früheren und gegenwärtigen Grossmächte ihr eigenes Selbstverständnis wider objektive Quellen glorios darstellen: Für Frankreich ist das Wort «Kapitulation» schwer tragbar; die Sprachregelung kennt diese Perspektive nicht. Sogar im modernen heutigen Frankreich ist die Kapitulation Hüningens immer noch eine «Heldentat». Daher war die Aufgabe Barbanègres keine Kapitulation, sondern es heisst heute offiziell «Auszug aus der Festung». Was effektiv heldenhafter tönt, als was damalige Augenzeugen berichteten: Dass der grösste Teil der Garnison desertierte und die letzten Verteidiger als ein erbärmlicher Haufen sich demoralisiert und erschöpft ergeben mussten.

Nun sind sowieso in Frankreich die Helden dicht gesät, und von keinem liest man in den offiziellen Geschichtsbüchern, dass sie eher fanatische Haudegen statt Helden waren. Zumal die Definition des Helden ja auch von der Perspektive abhängt. Die Heldenverehrung in Frankreich ist zudem sakrosankt, wie die alljährlichen Gedenkfeiern an den «Monuments aux Morts» zeigen. Und sie ist wie kaum ein anderes Thema fruchtbarer Boden für die farbigsten Heldensagen und wunderbarsten gefälschten oder erfundenen Legenden. Und kaum jemand spricht von den entsetzlichen Qualen der Abertausenden von verwundeten Kriegsopfern, denen kaum medizinische Hilfe zukam. Und wenn, dann Amputationen ohne Narkose, Wundbrand und ein Leben als Krüppel in tiefster Armut ohne Rente.



Beide hier von Détaille fantasievoll dargestellte Helden von Hüningen, Erzherzog Johann und Général Barbanègre, starben schliesslich nicht den Heldentod, sondern wohlgenährt friedlich im Bett. © foto@jplienhard.ch 2015


Nebst verschiednen Perspektiven verlangen historische Ereignisse von solcher Tragweite auch eine gebührende Distanz der Betrachter. Es wird dann sehr schnell klar, dass dem Helden Barbanègre eine ganz andere Rolle zugedichtet wird, als man beim Betrachten des Monumental-Oelbildes von Schampediss Détaille zu sehen hat. Zumal, wenn man weiss, dass die dargestellte Festung nie so monumental und schon gar nicht mit Zugbrücke versehen ausgesehen hat. Schliesslich war der Künstler noch gar nicht geboren, als die Schleifung der Festung vollendet war. Die monumental gemalte Abbildung des Bauwerks ist reine Fantasie und kann an den wenigen noch erhalten gebliebenen Spuren der «ramparts», also der Kasematten, unschwer als eher von bescheidener Grösse erkannt werden. Man vergleiche schon nur die Dimensionen der Festungen von Belfort oder Neuf-Brisach.



Überwucherter Rest der Festungs-Kasematten: Die Höhe der Befestigung war eher bescheiden und nicht wie von Détaille gemalt. © foto@jplienhard.ch 2015


Weil das Gemälde 67 Jahre nach der Schleifung und erst 1892, also lange nach dem deutsch-französischenKrieg entstand, ist es nicht nur eine patriotische Sichtweise, sondern auch eine tröstliche Manifestation nach der Niederlage von 1870/71. Hinzu kam, dass das vom deutschen Reich annektierte Elsass sich im Gemälde gespiegelt sah: In keinem elsässischen Haushalt durfte zumindest eine schwarzweiss-heliographische Verkleinerung des Bildes fehlen, dessen monumentales Original im Palais de Luxembourg in Paris hängt.



Ein Detail aus Détails Fantasie-Gemälde ist das Sujet der Sonderbriefmarke zu €uro 1,26. Foto: Mairie de Huningue


Der Philatelisten-Verein der Region Saint-Louis (68) hat ausgerechnet den dramatisch von Détaille ins Zentrum seines Gemäldes gerückte angebliche Handschlag des Grazer Erzherzogs Johann mit dem unterlegenen Festungskommandaten Barbanègre als Ausschnitt gewählt, um damit eine Sonderbriefmarke im Wert von 1,26 €uro zu gestalten. Die Briefmarkenblöcke mit Ersttagsstempel werden am Samstag, 29. August, von 9 bis 17 Uhr, und am Sonntag, 30. August 2015, von 9 bis 16 Uhr, in der ehemaligen Garnisonskirche der Festung verkauft. Reste der Auflage können aber ab Montag, 31. August 2015, in den Postbüros von Hüningen und St-Louis erstanden werden. Die Garnisonskirche dient heute als Ausstellungsraum und ist zusammen mit dem Offizierscasino, dem heutigen Orts- und Festungsmuseum und Touristen-Büro, eines der wenigen nicht geschleiften Festungsbauten.

Als weitere Anlässe zum 200. Jahrestag der Kapitulation - oder dem Auszug der Garnison - wird die Briefmarken-Ausgabe in der ehemaligen Garnisosnkirche mit einer Ausstellung aus der Zeit der Festung ergänzt. Im Festungsmuseum soll schliesslich vom Geschichtsverein von Hüningen/Village-Neuf eine temporäre Ausstellung zu Barbanègre gezeigt werden.



Ein Hauch von Versailles im Zentrum von Hüningen bietet der Garten «à la française» und ladet zur Kontemplation in Frieden und Eintracht. Foto z.V.g.


Eine bleibende Einrichtung wird weniger kriegerisch und heldenhaft, dafür um so erquickender erlebbar sein: Hinter dem Offizierscasino und Festungsmuseum wird ein neu angelegter Garten der Öffentlichkeit übergeben. Er ist dem Landschaftsarchitekten des Sonnenkönigs Louis Quatorze, André Le Nostres, oder in der heutigen Schreibweise, Le Nôtre, gewidmet. Der König war ja auch der Auftraggeber an Vauban für die Festung Hüningen. Und Le Nôtre und Vauban waren für den Ruf Versailles gleich bedeutend.

Die neue Gartenanlage zwischen den Strassen Joffre und Chancel hat die Paysagistin Eliane Houillon um eine Alleen-Achse symmetrisch wie in Versailles gebaut. Die Gestaltung wechselt zwischen festen Blumenbeeten und Gewächsen je nach der jahreszeitlich wechselnden Vegetation. Die Achse verlängert den Vorplatz vom Museums-Tor, bildet hier eine Art Mauer aus vorhängenden Bäumen oder dort einen «Saal», ähnlich einer Kammer, woraus der Besucher eine andere Perspektive zu entdecken eingeladen wird. Im Geist eines Gartens «à la française» wechseln vergängliche oder bleibende Elemente wie ein kleiner Brunnen, altgriechische Topiarikunst und Skulpturen. Lichte und schattige Plätze ermöglichen Ausstellungen und Darbietungen. Sitzgelegenheiten laden dazu ein, die Gartenszene kontemplatorisch auf sich einwirken zu lassen - in aller Ruhe inmitten des Herzens des Stadtzentrums. Der «Jardin à la française» ist vom 29. August 2015, ab 12 Uhr, im Sommer von 8 bis 21 Uhr und im Winter von 9 bis 17 Uhr täglich geöffnet.

Von Jürg-Peter Lienhard

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