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Artikel vom 16.10.2010

Ottokars Cinétips

Jetzt auf DVD

Voyeur mit Todessehnsucht

Karlheinz Boehm und Michael Powell ruinierten mit «Peeping Tom» ihre Karriere, doch der Film schrieb Filmgeschichte, was nun späte Anerkennung erhält

Von Ottokar Schnepf



Der mit Romy Schneider in «Sissy» berühmt gewordene Karlheinz Boehm in seiner folgenschweren Rolle als psychopathischer Kameramann im Film «Peeping Tom».


«Schmutz zu Schauzwecken» bezeichnete 1960 die Katholische Filmkommission Deutschland Michael Powells Film «Peeping Tom». Für den Regisseur hingegen war «Peeping Tom» ein «ganz persönlicher Film». Ein Film jedoch, der die Wellen höher schlagen liess, denn nicht nur in Deutschland erregte er die Gemüter der Kritiker und des Publikums.

Was war geschehen? Waren es die nackten Frauenbrüste, die erstmals in einem Mainstream Film zu sehen waren? Auch, aber vor allem, wurde Michael Powell Vulgarität vorgeworfen, denn «Peeping Tom» war einer der ersten Filme, der Pornografie als Konsumgut zeigte, das sich an Angebot und Nachfrage ausrichtet. Vor allem aus heutiger Sicht kann er aber nicht etwa als Porno-Film bezeichnet werden.

Rückblickend gesehen ist es ein erstaunlich moderner Film über über den Zusammenhang von Schaulust, Todessehnsucht und sexueller Neurose, wenn ein psychopathischer Kameramann die Angst junger Mädchen fotografiert, bevor er sie, mit einem im Stativ eingebauten Messer, ermordet. Seine Opfer sind Frauen, die sich zur Schau stellen: Prostituierte, Models, und Schauspielerinnen.

Indem er sie bei der Ermordung filmt, glaubt er ihr wahres Gesicht zu erkennen. Doch mit diesem Thema hatte Michael Powell anscheinend in ein Wespennest gestochen. Unter den verheerenden Kritiken war u.a. zu lesen, der Film «gehöre die Toilette hinuntergespült».

Doch nicht genug: Regisseur Powell war durch seinen Film ins Abseits geraten und fand für Jahre keine Auftraggeber mehr. Hauptdarsteller Karlheinz Böhm wollte sich wie Romy Schneider vom Image der zuckersüssen «Sissi»-Filme losreissen und in England sein Glück versuchen. Doch als «Peeping Tom» hatte er sich seine Karriere so gut wie zerstört.

Zwanzig Jahre lang ist dieser Film von einer aus heutiger Sicht unverständlich harschen Kritik verschmäht und ignoriert worden, bis Martin Scorcese und Paul Schrader ihn 1979 auf dem New Yorker Filmfestival rehabilitierten und in eine Liste ihrer «Guilty Pleasures» setzten. Man hatte damals den Film einfach nicht verstanden oder nicht verstehen wollen.

Jetzt gibt es «Peeping Tom» auf DVD in der Arthaus Collection, zusammen mit Klassikern wie Orson Welles «Citizen Kane» und Chaplins «Der grosse Diktator». Diesen Platz hat er längst verdient.

Von Ottokar Schnepf



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