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Artikel vom 27.04.2010

Elsass - Allgemeines

Der Kachelofen hat noch lange nicht ausgedient!

Offene Türen im Atelier der Oltinger Ofensetzer Spenlehauer–Spiess vom Freitag, 30. April, bis Sonntag, 2. Mai 2010, von 10 bis 18 Uhr

Von Jürg-Peter Lienhard



Eigenkreation aus dem Hause Spenlehauer–Spiess: Ein «transportabler» Kachelofen. Farbe und Grösse, nicht aber die Form kann der Kunde bei diesem Modell auswählen. Christian Fuchs (links) ist der Nachfolger von Pierre Spenlehauer, für den schon Dominique Spiess (rechts) die Kacheln machte. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010


Ein Kachelofen aus dem Sundgauer Atelier Spenlehauer–Spiess in Oltingue ist ein Kunstwerk. Der Ursprung der Kachel-Muster und die Architektur der Öfen gehen zurück bis ins 17. Jahrhundert und fussen auf der Tradition der berühmten Hafner Wanner aus Linsdorf. Die Kulturgeschichte dieser immer noch unübertroffenen Heizung ist hochinteressant, zumal wenn man sie von berufenen Kunsthandwerkern geschildert und vorgeführt bekommt.



Und das ist ein fest eingebauter Kachelofen aus dem Hause Spenlehauer–Spiess. Er befindet sich in der Auberge Paysanne von Lutter, wo er Teil der «Büürà-Stubà» ist, die Christian Fuchs für die äusserst ehrbaren Besitzer dieses Sundgauer Gasthofes gestaltet hat. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010

Jeder Kachelofen ist eine Einzelanfertigung, angepasst an die Gegebenheiten des Hauses. Als Heizung ist er unübertroffen in bezug auf Komfort, Energieeffizienz und Raumklima. Und zudem ist er ein Schmuckstück des Hauses, sogar in einem Neubau, wo er mitunter einen Kontrapunkt in der modernen Architektur bildet. Wenngleich die Funktion die Form bestimmt, so wirken die traditionellen Dessins erstaunlich «modern», zumal, da der Kachelmacher die Farben variieren und dem Raum entsprechend brennen kann.

Der Kachelofen hat in der Zivilisationsgeschichte eine grosse Vergangenheit. In unserer Gegend mit den kalten Wintern und dem rauhen Klima hing das Überleben vom Bewahren des Feuers ab: In den Anfängen der Zivilisation baute man einen Windschutz darumherum und ein Dach gegen den Regen, während sich die Menschen mitsamt dem Vieh in diesem einzigen Raum aufhielten. Der Komfort liess natürlich zu wünschen übrig, und ein offenes Feuer verbrauchte sehr viel Holz.

Doch mit der Zeit lernten die Menschen, das Feuer ökonomischer einzusetzen, indem sie eine Heizung erfanden, die nicht mehr den ganzen Raum mit Rauch füllte und die weniger Holz brauchte und länger warm hielt: Voilà der Kachelofen, die Speicherheizung war die Lösung. Das Prinzip geht davon aus, dass erhitzte Keramik die Wärme länger speichert. Der Effekt kann nochmals gesteigert werden, indem man die Oberfläche der Keramik erhöht. Dies geschieht aus praktischen Gründen innerhalb des Heizkörpers - darum spricht man von Kacheln, und das sind gewissermassen mit den Wänden nach innen montierte Gefässe.

Zwar braucht ein Kachelofen länger, bis seine Kacheln und damit sein Körper erwärmt sind, doch dafür behält er sehr viel länger die Wärme als beispielsweise ein Ofen aus Eisen. Und befeuert mit einem grossen Holzscheit, hält die Glut die ganze Nacht hindurch bis zum Morgen, wenn dann erst neue Scheiter nachgeschoben werden müssen.



Der Kachelofen strömt selbst im Sommer freundliche Behaglichkeit aus - und erst recht im Winter… Hier aufgenommen in der Auberge Paysanne in Lutter. Der Entwurf des Kachelofens stammt von Christian Fuchs, der ihn auch setzte. Die Kacheln sind von Dominique Spiess. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010


Da der Grundbaustoff eines Kachelofens Keramik, also Lehm oder Löss ist, entwickelte sich der Kachelofen vor allem in Gegenden, die lössreich sind, wie eben im Sundgau. Denn Häuser baute man jeweils mit dem Material, das man gewissermassen gerade vor der Haustür fand und nicht von weither und folglich mit hohen Kosten verbunden importieren musste. Das erklärt auch die Hausformen der jeweiligen Gegenden.

Lange war der Kachelofen die einzige Heizung im ganzen Haus. Ein wesentlicher Komfortgewinn bestand darin, dass der Kachelofen allein von der sowieso rauchigen Küche aus beheizt wurde. Die dahinterliegende Stube blieb so komplett rauchfrei. Auch die Abwärme des Kochherdes machten sich die Bewohner zunutze, indem sie den heissen Rauch zuerst durch die sogenannte Kunst zirkulieren liessen, bevor er durch den offenen Rauchfang zum Dach hinaus entweichen konnte. Nur der Kochherd wird befeuert; nicht die Kunst, für die man mit einem Schieber die Wärmezufuhr steuert.



Eine weisse Variante des transportablen Kachelofens. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010


Die Keramikkacheln eines Kachelofens werden auf ein hölzernes Gestell gesetzt, damit es zu einer Luftzirkulation im beheizten Raum kommt. Wegen dieser Tätigkeit des «Aufsetzens» nennt man den Handwerker, der einen Ofen setzt, eben Ofensetzer.

Beim Aufsetzen der Kacheln muss der Ofensetzer eine Technik beherrschen, die er sich nicht allein durch Praxis aneignen konnte, sondern aus der Überlieferung und deren Umsetzung gelernt haben muss. Nach einer Zeitspanne einer Generation muss ein Ofen neu gesetzt werden, und manchmal müssen «ausgebrannte» Kachelöfen ganz ersetzt werden. Mit den Jahren sammelt sich in den Kachelgefässen Russ, der die Heizkraft vermindert. Dann müssen die Kacheln abgebaut, gereinigt und neu gesetzt und frisch verfugt werden. Gerade das Verfugen ist eine kleine Wissenschaft, weil moderne chemische Baustoffe nie länger halten als traditionelle Fugenpasten, die deshalb so langlebig sind, weil sie Salze enthalten, die eben nur im Rossmist enthalten sind…



Und hier noch zwei grüne Varianten in unterschiedlicher Grösse mit den typischen Mustern der Wanner-Kacheln. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010


Doch ohne Kachelmacher kann ein Ofensetzer auch keine Öfen setzen. Ofensetzer und Kachelmacher ist ein obligatorisches Doppelgespann, das aufeinander eingespielt sein und sich gegenseitig ergänzen muss. Genau so wie der Kachelmacher der Künstler beim Dessin und beim heiklen Brand ist - «Brand» nennt man das Brennen der Lehmkacheln -, genau so ist der Ofensetzer der Künstler beim Entwerfen der Körperform, womit er eben innenarchitektonisch entscheidende Akzente setzt.

Mit dem Brand steuert der Kachelmacher die Farbe der Glasur, was sehr viel Erfahrung erfordert. Die ist besonders gefragt beim Befüllen des Brennofens, wo der Kachelmacher sehr genau wissen muss, wie er die aus rohem Ton gefertigten Kacheln einfüllen muss, damit sie von allen Seiten gleich viel Hitze erhalten. Denn schon nur geringste Temperaturunterschiede können einzelne Kacheln anders färben als gewünscht oder gar den ganze Brand als Ausschuss zur Folge haben.

Natürlich muss der Kachelmacher auch ganz gute Kenntnisse der Farbgebung haben: Die Glasuren färben sich beim Brand anders als beim Auftragen auf die feuchte Lehmschicht, und das muss der Kachelmacher im Gefühl haben, denn er arbeitet nicht mit Chemie, sondern mit Erdfarben, die je nach Herkunft eben auch leichte Veränderungen ergeben.



Eine Auswahl der verschiedenen historischen Muster der Wanner-Kacheln, nach denen der Kunsthhandwerksbetrieb Spenlehauer–Spiess in Oltingue seine Ofenkeramik herstellt. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010


Bei den Ziermotiven auf den Kacheln gab es in der Vergangenheit eine enorme Vielfalt. Ihr kunsthistorischer Wert hängt sehr vom Alter, vom Künstler und von der Gegend ab. Ob sie eher im nördlichen Europa hergestellt wurden, oder eher aus städtischen Bürgerhäusern oder Adelssitzen und -Schlösser stammen.

Wenn man bedenkt, dass ein Kachelofen als Heizung früher nicht nur eine Überlebensnotwendigkeit war sondern gerade so viel kostete, wie das Haus selbst - der Grund ist die spezialisierte Technik, und auch heute stehen die Kosten für die Energieinstallationen und der Hausbau in einem ähnlichen Verhältnis -, so wird schnell klar, warum die künstlerisch wertvollsten Kacheln eher in den Bürger- und Adelshäusern anzutreffen sind oder waren, denn bei armen Bauern.

Doch Ausnahmen gab es schon damals: Der künstlerische Wert von Wanner-Kacheln aus Linsdorf hat der inzwischen von der elsässischen Politik undankbar kaltgestellte Gründer des Ecomusée d'Alsace, der Ethnologe Marc Grodwohl, in den frühen Siebzigern des letzten Jahrhunderts nach ausführlichen Grundlagenforschungen erkannt und als erster beschrieben. In dieser Zeit, noch lange vor der Gründung des Freilichtmuseums, traf er auf den Cheminée-Maurer Pierre Spenlehauer, den er mit seinen Forschungsergebnissen dazu ermutigte, sich des traditionellen Kachelofenbaus und der historischen Dessins anzunehmen. In einer Zeit notabene, da es schien, dass die «saubere» Ölheizung Zukunft sei…



Auf «Frühenglisch» sagen die Windelträger «Showroom» - aber für Christian Fuchs ist es immer noch eine «Üsschtellig» - und da hat er doch recht, oder? Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010


Spenlehauer tat sich mit einem der besten Keramiker zusammen, mit dem blutjungen aber begabten Dominique Spiess, und die beiden begannen sich leidenschaftlich mit der Tradition der verflossenen Sundgauer Ofensetzer-Künstler Wanner auseinanderzusetzen. Sie kreuzten bei den Abbrüchen alter Bauernhäuser im Sundgau auf, retteten, wenn sie Glück hatten, die eine oder andere Kachel mit Mustern aus dem Hause Wanner. Und wenn sie ganz grosses Glück hatten, war der Kachelofen noch ganz, bevor der Bagger auffuhr. Viele dieser historischen Kachelöfen stehen heute im Ecomusée d'Alsace, gespendet von Pierre Spenlehauer und auch von ihm selbst wieder aufgesetzt.

Nur: die elsässische Politik hat Grodwohl und der Bevölkerung das grossartige Werk gestohlen und es einer Firma der Vergnünungspark-Branche verschenkt (in der idiotischen Meinung, dass diese Firma «Geld» mit dem Ecomusée d'Alsace mache, während Grodwohl doch nur «ständig Subventionen reklamierte»…!!!). Aber das ist eine andere Geschichte.




Ein klein wenig stolz dürfen diese erstklassigen Kunsthandwerker schon sein. Und darum sind sie auch so stolz posierend hier abgenommen worden. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010


Diese künstlerisch wertvollen historischen Kacheldessins aus der Wanner-Tradition hat der Künstler Spenlehauer zusammen mit dem Künstler Spiess weiterentwickelt, aber nur, wo sie eine Anpassung nicht als Eingriff hielten. Andere haben sie zumindest von der Form der Ornamente belassen und einige gar sind Eigenschöpfungen, wobei der Kenner aber die Quelle des Dessins unschwer feststellen kann. Das ist durchaus beabsichtigt und auch legitim, ja sogar im künstlerischen Sinne evolutionär: Es handelt sich nicht um eine stehengebliebene, sondern aus der Tradition gewachsene Neuschöpfung.

Grün ist die Farbe vieler Wanner-Kacheln, weiss sind nicht allein die moderneren aus dem Atelier Spenlehauer–Spiess; es gibt auch blaue und ockere oder rötliche. Es gibt «primitive» Muster von uralten Kacheln, und ausgerechnet die sehen mit ihren simplen Tupfen «modern» für unser heutiges Auge aus. Und anderen würde man nicht ansehen, dass sie eher jüngeren Alters sind. Das Musterbuch der Kachelöfen Spenlehauer-Spiess jedenfalls ist umfangreich, und die Referenzen von Kachelöfen in der Region, ob im schweizerischen oder im elsässischen Sundgau, ob in der Innerschweiz oder ob in Frankreich und in der deutschen Nachbarschaft - sie sind beinahe unzählbar auch für Pierre Spenlehauer und für Dominique Spiess und bald auch für Christian Fuchs. Die drei haben ein altes Handwerk in seinem Ursprung bewahrt und mit Neuschöpfungen auf der Grundlage einer bewährten Tradition am Leben erhalten.

Gehen Sie hin, am kommenden Wochenende, auch wenn Sie keinen Kachelofen setzen lassen wollen: Sie lernen etwas von der Geschichte unserer Region und aus der Bau- und Wohnkultur. Sie lernen aber zwei grossartige Handwerker kennen, wie es sie bald nicht mehr von diesem originellen und intelligenten Kaliber geben wird. Eine Investition in deren Produkte jedenfalls hält länger als ein Volkswagen, zumindest so lange wie ein Rolls Royce, und mit einem Rolls Royce brauchen diese wunderschönen Werke den Vergleich nicht zu scheuen. Und sowieso nicht der Vergleich mit der Energiebilanz einer Ölzentralheizung…



Das Atelierhaus in Oltingue mit dem Firmenschild an der Traufseite. Sehr schön präsentiert sich die Laube (links), wiewohl das ganze Haus äusserlich im ursprünglichen Zustand dieses typischen Sundgauer Eindachhofes belassen worden ist. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010




Das Atelier ist in der einstmaligen Scheune untergebracht. Das Bild ist vor dem Scheunentor aufgenommen. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010


Information

Tage der Offenen Tür vom
• Freitag, 30. April 2010 bis
• Sonntag, 2. Mai 2010
jeweils von 10 bis 18 Uhr

Vorführungen, Demonstrationen und Erklärungen
amuse bouche à à l’alsacienne (vin blanc et Gougelhopf)

Atelier de poêles, poêles en bois
Spenlehauer–Spiess
1 rue de l’Eglise
F-68480 Oltingue
Tél.


Anfahrt: von Basel über Biel-Benken–Leymen–Rodersdorf–Biederthal–Wolschwiller–Oltingue
oder Hégenheim–Hangenthal-le-Bas–Bettlach–Oltingue


Fahren Sie am Samstag, 1. Mai 2010 hin, dann empfehle ich Ihnen die Fahrt über Biederthal, wo Sie noch kurz einen Besuch am Geissàfàscht der Domaine de Geissberg einen Besuch abstatten oder gar zu Mittag essen können. Sie sollten nur nicht zu spät in Oltingue eintreffen, damit Sie die beiden Kunsthandwerker Fuchs und Spiess noch bei der Arbeit oder in Aktion erleben können.



Nein, das ist keine Beiz, sondern das schmiedeiserne Aushängeschild zur rue Principale von Oltingue. Es ist eher diskret, aber weist gleichwohl auf den renommierten Kunsthandwerksbetrieb (die Adresse lautet aber 1 rue de l'Eglise, weil der Eingang auf der Traufseite ist, und die steht längs zur Kirchgass). Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010


Tip

Was es sonst noch in und um Oltingue zu sehen gibt.



Mitten im Feld befindet sich die Feldkapelle Sankt Martin (Saint-Martin). In ihr sind offene Gräber zu besichtigen, die noch Gebeine enthalten.




Grauslich - n'est-ce-pas? Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010




Diese Eselin trägt den letzten Pariser Chic! Im Hintergrund Saint-Martin aux champs, was die Einheimischen spasshaft mit Saint-Martin-in-the-Fields übersetzen… Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010




In Oltingue ist auch das Bauernhaus-Museum Musée Paysan zu finden - gleich neben der Oltinguette von Toni Hartmann. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010

Von Jürg-Peter Lienhard

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