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Artikel vom 17.04.2010

Elsass - Allgemeines

80 Mal René Minéry…

Dem munteren «Wiedergeborenen», Lokalchronist seines langjährigen Sundgauer Wohnortes Waldighofen, wo schon der «Prince des poètes alsaciens» ebenfalls Berühmtheit weit über die Grenzen hinaus erlangte, zum Geburtstag

Von Jürg-Peter Lienhard



Das Geburtstagsgeschenk für den Jubilar René Minéry (Mitte): ein «very british» Velo, Marke «Raleigh Stängelibremser» - ein Geschenk allerdings zuhanden des Geschichtsarchivs der Gemeinde Waldighofen (links Seppi Haas vom Geschichtsverein und rechts François Rentz, der Spender des wertvollen Oldtimer-Velos). Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010


Hätte der Bürgermeister von Waldighofen, Henri Hoff, den Gemeindesaal nicht auf 150 Personen limitiert, die Gäste am Geburtstagsfest des beliebten alt Coiffeurmeisters, Lokal-Historiker Waldighofens, Elsass-Champion im Kunstturnen, Förderer des einheimischen Kultur- und Sportwesens, wären weit zahlreicher zu seinem 80. Geburtstagsfest vom Freitag, 16. April 2010, eingeladen worden: René Minéry zählt zu den beliebtesten Figuren im Sundgau und an seinem langjährigen Wohnort Waldighofen, wohin er mit drei Jahren von «Häsige» zugezogen, «eingewandert» ward.



Der Jubilar René Minéry (rechts) und seine Frau Annette lauschen der Ansprache des Bürgermeisters Henri Hoff. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010


Ein schönes, sympathisches, echt elsässisches Fest, war es, das ich noch lange in Erinnerung behalten werde - auch wenn ich dabei als «Hof(f)-Fotograf» arbeitete und fast 300 Fotos von diesen wundervollen Leuten, genannt Sundgauer, gemacht habe. Und die «babbelten» fast ausnahmslos diesen erdigen, heimeligen, freundlichen, fröhlichen und liebenswürdigen Dialekt, der um so wohliger ins Ohr eindringt, wenn er als Resonanz aus einer ehrlichen und gastlichen Seele aufsteigt und mit diesem Schuss hintersinnigen und doppeldeutigen Humor gewürzt ist, den Basler sofort verstehen und heiss lieben.



Olympischer Kuss-Marathon schon zu Beginn des Festes - mit Champion Minéry in der Bildmitte. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010


Das alles trifft auf die Freunde von René Minéry und natürlich auf ihn selber zu, zumal er sowieso geadelt ist durch seine Gattin Annette, die zwar wie alle Elsässer der Grenzregion ihrer Generation im Basler Frauenspital geboren ist, aber aus dem «tiefen» Sundgau von Werentzhouse stammt, wo die Welt noch an beiden Angeln angemacht ist - was dort die Leute so widerstandsfähig gegenüber der Hektik des kalten, seelenlosen «Modernismus» macht. Bei diesem Paar fühlt man sich so zuhause wie im warmen Kingelà-Stall, den man noch häufig im Elsass hinter dem Haus pflegt.

Aber, René ist doch eine gewisse Ausnahme, zumal seine Interessen oft «diametral entgegengesetzt» sind: Einerseits ist er der körperlich Fitte, der sich einen gewaltigen Brustkasten durch hartes Training an Reck und Ringen antrainiert hat und eine Zeitlang erster Champion im Kunstturnen im Elsass war. Andererseits ist er mit einer Begabung beglückt, die eine feine Feder verlangt, viel Gespür und ein scharfes Auge braucht - nämlich die des Federzeichners. Er hat Dutzende von elsässischen Häusern in ebenso vielen Sundgau-Dörfern und Hauslandschaften im Sundgau meisterlich mit seiner Tuschefeder festgehalten. Vieles, was ihm als Zeichen-Sujet diente, ist gar für immer verschwunden und nur Dank dem liebevollen Auge von René wenigstens auf dem Zeichenblatt erhalten geblieben.



Das Geburtshaus des Sängers des Sundgaus, Nathan Katz, in Waldighofen. Tuschzeichnung von René Minéry. Laden Sie sich via untenstehendem Link eine Ansicht in höherer Auflösung als hier herunter, so können Sie sich über die Qualität des Zeichners besser vergewissern. Schreiben Sie ihm - via unseren Kontakt.


Und schliesslich hat er auch im Beruf «gegensätzliche» Karrieren gemacht: Zunächst als Coiffeur und dann später über Jahrzehnte in der Autoindustrie von Sochaux und Mulhouse als technischer und Konstruktionszeichner. Während er früher als Coiffeur sich von seinen Kunden und Kundinnen viele Geschichten anhören musste, hat er später selber angefangen, Geschichten zu schreiben - nämlich Geschichte und zuweilen Stammbäume bekannter elsässischer Familien. So wurde aus dem Handwerker ein Historiker, der anfing eine umfangreiche Sammlung von Dokumenten und anderen Zeitzeugnissen aus seiner nächsten Umgebung, Waldighofen, zu sammeln und - was genau so wichtig ist -, zu klassieren, zu kommentieren und zu publizieren. Und logisch-biologisch wurde er das «Zugpferd» einer initianten Gruppe von Waldighofer Einwohnern, die die «Société d’Histoire de Waldighoffen» gründeten und kürzlich dafür sogar eine Wohnung erwarben, worin zurzeit das künftige Archiv und die historische Sammlung des Ortes eingerichtet werden.

Immerhin findet sich dann darin auch eine Vitrine, die dem grossen Bürger von Waldighofen gewidmet ist: dem Sänger des Sundgaus, den die Franzosen «le prince des poètes alsaciens» nennen - Nathan Katz. Und immerhin wird die Vitrine einen ersten Schatz enthalten: zwei Original-Manuskripte von Werken von Nathan Katz, die ein Basler Journalist der Gemeinde spendete (Sie dürfen einmal raten wer das war…).



Der Spottname der Waldighofer heisst «Babbekessel» - die wahrscheinlichste Ursprungs-Interpretation ist, dass «Babbe» von klebriger Grütze stammt - dem Grütze-Eintopf der armen Leute. Im «Babbekessel», gemalt von René, aber von der Gemahlin des Bürgermeisters, Francine Hoff, mit seinem Konterfei bestückt, hockt hier unser René mit dem «Nebelspalter» auf, den er als Teil seines Kostüms des elsässischen Landmanns bei festlichen Gelegenheiten und für seine historischen Ansprachen trägt. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010


Am Geburstagsfest begann sich mit jedem Ankömmling der Gabentisch zu biegen ob der Last der Blumengebinde und Flaschen und golden verpackten Geschenke. Doch das originellste Geschenk war nicht sein persönliches, sondern war für das künftige historische Archiv bestimmt und kam auf zwei Rädern daher. Es wurde unter grossem Beifall und Staunen überreicht von seinem Supporterteam Seppi Haas und François Rentz: Ein Raleigh-Velo, Jahrgang 1950, ein Stängeli-Bremser mit Planetengetriebe, kriegstauglich und unzerstörbar. Schätzwert in Basel: gut und gerne 2500 Franken - alles very british original ausgerüstet. Es entging in Basel knapp dem «Mulden-Schicksal», dürfte aber jetzt so etwas wie die «stille Reserve» des Archivs bedeuten, zumal das auch bei den Royals beliebte (und gefahrene) dreigängige Stahlross nichts mit Waldighofen zu tun hat, ausser mit dem Waldighofer François Rentz, der es in Basel vor der Mulde rettete.



Früher schleppten auch die Sundgauer ihre Angebeteten per Stahlross ab, aber heute posieren sie nur noch für den Fotografen so: René und seine Annette… Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010


Der Seppi Haas stattete das Vélociped für das Geburtstagskind dann so aus, wie ein Drahtesel sällesmool bei den Elsässern Verwendung fand: als multifunktionales Transportmittel. Über der Längsstrebe hing der Schulsack mit allerlei französischen Büchern und Lehrmitteln aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, als René in die Schule ging - inklusive Fäädereläädli, Schiefertafel mit Schwümmli (im Elsass kannte man kein Schwummbüxli, sondern das Schwämmchen war an der Tafel mit einem Faden angemacht - trocknete dafür schneller aus). An der Lenkstange ein Milchkesseli aus Aluminium mit Deckeli, weil ihn die Mutter geheissen hatte, auf dem Nachhauseweg noch Milch im Milchhyyslà zu holen, und auf dem Gepäckträger ein Korb voller Zyyg: Nebst Gemüse auch zwei Exemplare der Zeitung «l’Alsace» - recto verso deutsch und französisch - worin die Fortschritte der siegreichen Ersten Befreiungsarmee unter de Lattre de Tassigny gemeldet wurden. Aus dem Milchkesseli tropfte doch tatsächlich frische Milch…



Wenn der Seppi Haas etwas aalänggt, dann stets richtig - logisch-biologisch! Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010


Nun ist es nicht an mir, alle Verdienste von René Minéry für seine Heimat aufzuzählen. Ich schätze seinen einzigartigen Humor und seine quirlige Hilfsbereitschaft. Wer in Frankreich fürs Vaterland nur stramm gestanden, der erhält in der Regel viel Blech an die Brust geheftet - davon habe ich bei René nichts gesehen. Aber wer im Elsass durch Taten und Initiative und mit Herz und Humor etwas erreicht hat, der erhält am Geburtstagsfest Hunderte von Medaillen - nämlich in Form von Hunderten von lieben Gratulanten. Und nur die Vorschrift des Maire, dass aus Sicherheitsgründen nicht mehr als 150 Leute ins Forum-Lokal gelassen werden dürfen, verhinderte, dass noch weit mehr als 200 Gratulanten kamen, die am Fest von René Minérys 80. Geburtstag teilnahmen…



Das ist ein originales Exemplar der Nummer 3 des 1. Jahrgangs (!) der Tageszeitung «l'Alsace» - herausgekommen am 3. Tag nach der Befreiung Mülhausens, am 27. November 1944. Ein Blatt - vorne deutsch, hinten französisch. Ich schicke jedem eine Kopie, der es wünscht. Zumal den Schweizern, die zu ihrem Glück nie erleben mussten, was Krieg wirklich heisst und bedeutet! Jede Zeile ein Drama und der Kommentar «Wieder frei!» herzzerreissend! Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010


Typisch René: dieses Fest mit der grossen Nummer 80 nannte er «mon enterrement de la vie de garçon» - er hat zwei Kinder, drei Grosskinder und einen Urenkel… - übrigens alles nicht nur sympathische, sondern auch sehr geschickte Nachkommen. Die Enkel jedenfalls hatten eine höchste professionell gestaltete und erst noch lustige Multimedia-Präsentation der Familiengeschichte fabriziert - mit René in der Hauptrolle, selbstverständlich. Vom Hosenscheisser aus der Vorkriegszeit bis zum Unterhaltungskünstler an den Theaterabenden der Ortsvereine und natürlich als Held seiner Grosskinder im Schwimmbecken oder in den Zeltferien am Meer…

Und wie endet so ein Sundgauer Geburtstagsfest mit einem quirlig-lebendigen 80-Jährigen? Als die meisten der Gäste sich nach Mitternacht verabschiedet hatten und nur noch etwa ein Dutzend übrigblieben - was sagte René, was niemanden, aber gar niemanden überraschte? «Jetzt mache mer none Flaschà üff!» Und so geschah es bis lange nach 1 in der Frühe…


Fotoreportage J.-P. Lienhard, Basel

© 2010 foto@jplienhard.ch




Das formidable Büffet, das René seinen Gästen spendete. Das üppig gefüllte Gebäck stammte vom besten Bäcker-Konditor des Ortes, Philipp Schmidlin. Er verriet mir, dass er zwar seine Lehre in Mülhausen gemacht hat, aber seinen «Feinschliff» und Renommée bei Kühner in Basel erhielt. Ich kanns jetzt ehrlich bestätigen, dass seine Gugelhöpfe die besten sind, bis weit über die Landesgrenzen hinaus, denn diesmal war einer für mich übriggeblieben… ;-) Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010




Und klar auch seine tollen Torten und Desserts, von denen ich nur ein Mousse au Poire geniessen wollte, denn zurzeit mache ich «Ramadan»… Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010




Der Gabentisch für den Jubilar bog sich - so wie andauernd das Lachen die liebenswürdigen Sundgauer Gäste ob der witzigen Sprüche Renés… Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010




Papa René tanzt mit einer seiner tollen Töchter eine Ehrenrunde. Übrigens zur Harmonika-Harmonie von Waldighofen, die in der obersten Liga Europas spielt und soeben aus Sankt Petersburg zurückkehrte, wo sie für ein Galakonzert eingeladen war. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010




René bedankt sich für die musikalische Einlage, die er sich als Förderer und Gründungs-Initiant der Harmonie auch verdiente. Eindrücklich: Die Musiker hören sich die Ansprache stehend an… Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010




Familienbild mit Damen, Grosskindern, Petits enfants, Freundinnen (der Grosskinder…). Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010




Man glaubte es nicht, und doch: Diese älteren Herrschaften hielten aus bis Mitternacht. Und für jeden hatte René einen liebenswürdigen und doch witzigen Spruch übrig. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010




Als alle Gäste gegangen waren: Ein Küsschen von René an Annette (im Hintergrund Kinder und Kindeskinder) und ein letztes Gläschen. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010




Und ein G'sundheit mit Tochter, Tochtermann und einem der Grossöhne. Foto: J.-P. Lienhard, Basel © 2010


Nachtrag vom Montag, 19. April 2010



René im Glück… Foto: Annette & Co.

Von Jürg-Peter Lienhard

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