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Artikel vom 23.10.2008

Ottokars Cinétips

Filme als Verrat an der Literatur?

Zwei Beispiele von Literaturverfilmung gibt es zurzeit im Kino zu begutachten: Philip Roth's «Das sterbende Tier» und José Saramago's (Nobelpreisträger der Literatur von 1998) «Die Stadt der Blinden»

Von Ottokar Schnepf



«Die siebte Kunst»: André Bazin, der geistige Vater der «Nouvelle Vague» über Literaturverfilmung.


Das Stichwort «Literaturverfilmung» ist nach wie vor geeignet, skeptische Reaktionen hervorzurufen. Filmwissenschafter rümpfen die Nasen, weil ihr Interesse dem Film als eigenständige Kunstart gilt; Literatur-Päpste deuten darauf hin, dass bereits schon die Bezeichnung Ver-Filmung der Bezeichnung Verfälschung nahestehe und begründen, ein literarisches Werk könne in seiner filmischen Version eben nur verfälscht oder verstümmelt erscheinen.

Nun haben natürlich beide total Unrecht. Erstens gibt es Romanverfilmungen seit Bestehen des Kinofilms, diente den Filmemachern von Anfang an das Buch als Vorlage, zum Beispiel Shakespeare-Stoffe im Stummfilm. Diverse Klassiker und Bestseller wurden und werden immer wieder verfilmt.

Doch nicht jedes Buch eignet sich als Film, denn der Regisseur fordert vom Romanautor Figuren und einen Plot, kann das Buch als solches auch ignorieren, um den Schriftsteller nur als besonders weitschweifigen Drehbuchautor zu betrachten. Die Wahrheit dieser Feststellung erweist sich auch daran, dass viele amerikanische Romane der Film Noir Aera im Hinblick auf eine mögliche Verfilmung geschrieben wurden. Und das hat sich bis heute nicht geändert.

André Bazin, der geistige Vater der «Nouvelle Vague», jener Filmgattung, die sich für das Autorenkino einsetzte, schreibt in seinem Buch «Was ist Film?»:

Je grösser und entscheidender die literarischen Qualitäten des Werks sind, desto mehr wird die filmische Adaption das kunstvolle Gefüge erschüttern müssen, desto mehr Anforderungen stellt sie an das schöpferische Vermögen, das Werk in einem neuen, gewiss nicht dem gleichen, sondern gleichwertigen Gefüge zu rekonstruieren. Daher ist die Kritikerbehauptung, Literaturverfilmungen seien eine leichte Übung, durch die das wahre, das «reine Kino» nichts zu gewinnen habe, unsinnig und wird von allen guten Adaptionen widerlegt. Verrat am Film ebenso wie an der Literatur begeht hier nur, wer sich im Namen angeblicher filmischer Notwendigkeiten um Werktreue am wenigsten kümmert.


Alter Lustmolch

Der amerikanische Erfolgsautor Philip Roth hat immer noch nicht den Literatur-Nobelpreis erhalten, dafür wurde ein weiteres seiner Bücher verfilmt. Sein erstes, «Goodbye Columbus», bereits 1968, bevor mit «Portnoy's Complaint» (1972) und «The Human Stain» (2002) weitere folgten. Jetzt also «The Dying Enemy».

«Elegy» heisst Isabel Coixets Verfilmung, in der ein Literatur-Professor sich auch noch im Vorruhestandsalter ein Leben als praktizierender Anhänger der sexuellen Revolution gestattet. Regelmässig bahnt er Affären mit seinen Studentinnen an, daneben unterhält er seit 20 Jahren eine lose Dauerliaison. Während im Buch der intellektuelle Ich-Erzähler Kepesh ausführlichst über alte Männer, junges Fleisch, Geilheit und Vergänglichkeit nachdenkt, lässt der Film die Reflexionen etwas in den Hintergrund treten und konzentriert sich scheinbar auf das Wesentliche - auf jene Ausnahmeaffäre zu der jungen, aus Kuba stammenden Studentin Consuela, die Kepesh aus dem Trittt bringt.



Die Studentin treibt's mit dem Professor und umgekehrt: Penelope Cruz und Ben Kingsley.


Denn diesmal verliebt er sich wirklich, wird eifersüchtig, kommt auf dumme romantische Gedanken und steht plötzlich auf dem Kriegspfad mit den eigenen Prinzipien. Bereits bei Roth bietet die ungeschönte Altmännerbeichte an sich kaum Neues - und in «Elegy» bleibt wenig mehr als deren Rahmen. Ben Kingsley und Penelope Cruz machen die richtigen Gesichter am richtigen Ort, doch es gelingt ihnen nicht, jenseits der Klischees auch eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln.

Daneben überstehen nicht einmal die Originalzitate des Buches ihre Verfilmung: Vorgetragen aus dem Off, oder fallengelassen beim Cafégespräch, klingen sie sofort hohl und fehl am Platz. Filme, in denen die unbelebte Welt nur als Hintergrundkulisse für selbstgenügsamen Dialog und luftdicht abgeschlossene Spielhandlungen dient; sie sind von Grund auf unfilmisch. Deshalb ist Isabel Coixet's «Elegy» wegen der unfilmischen Vorlage eine misslungene Literaturverfilmung.



Erblindeter Augenarzt und sehende Gattin: Mark Ruffalo und Julianne Moore.


Kunstgewerblicher Mainstream

Der Literatur-Nobelpreisträger José Saramago hatte sich lange geweigert, die Filmrechte an seinem 1995 erschienenen Roman «Die Stadt der Blinden» zu verkaufen. Doch schliesslich glaubte er ihn wohl bei Regisseur Fernando Meirelles («City of God») und Drehbuchautor Don McKellar in guten Händen. Ihre Romanverfilmung mit dem Titel «Blindness» eröffnete dann sogar das diesjährige Filmfestival von Cannes - und fand sehr zurückhaltende Aufnahme.

Die geheimnisvolle Seuche, die über eine namenlose Grossstadt hereinbricht und ihre Opfer von einem Moment zum anderen erblinden lässt, beschreibt Saramago als ein Zuviel an Licht. Dies übersetzen Meirelles und sein Kameramann als ein allgemeines Verblassen. Die Bilder wirken blutleer, die Schnittachsen instabil, die Kontinuität der erzählten Wirklichkeit lückenhaft.

Diese Manipulation der filmischen Darstellung kommt durch die Erzählhandlung wie eine akademische Fingerübung daher. Auch die Darsteller wie Julianne Moore als Frau des Augenarztes, die einzig Sehende und Identifikationsfigur des Zuschauers, oder Gael Garcia Bernal als tyrannischer Gewaltherrscher in der Gegenwelt der Infizierten wirken als namenlose Figuren blutleer wie ihre Umgebung. Saramagos Allergorie ist besser lesbar als sehbar.

Regisseur Meirelles bleibt dem Autor treu, indem er dessen Gesellschaftsentwurf nicht in ein Spektakel der Spezialeffekte verwandelt; selbst als die Eingeschlossenen gegen Schluss ausbrechen und durch eine apokalyptische Stadt ziehen, widersteht er dem Impuls, sich in Bildern der Zerstörung und des Wahnsinns zu suhlen.

Doch «Blindness» als Genrekino mit intellektuellem Kultur-Anspruch berührt den Zuschauer nur in seltenen Momenten und bleibt im kunstgewerblichen Ungefähr stecken.

Literatur zu verfilmen ist eben keine leichte Übung!

Von Ottokar Schnepf



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