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Artikel vom 05.04.2007

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Gast-Beiträge

Mama Lua im Affenhimmel

Sie war eine bemerkenswerte Persönlichkeit in der Schimpansengruppe des Basler Zolli

Von Gast



Die «Ideal-Mutter» Lua in ihren besten Tagen und bei ihrer Lieblingsbeschäftigung: Dem Nachwuchs einfühlsame Zuwendung und Aufmerksamkeit schenkend. Fotos: Dr. h.c. Jörg Hess, Basel © 2007


red.- Die Schimpansin Lua ist tot. Sie litt schon seit längerer Zeit an einer Nierenerkrankung, die ihr in Schüben immer wieder zu schaffen machte. Gestorben ist Lua in der Nacht vom 30. auf den 31. März 2007 im Kreise ihrer Familie. Luas einmalige Stellung in der Basler Schimpansenfamilie und ihre bemerkenswerte Persönlichkeit sind für den Verhaltensforscher Jörg Hess Grund genug, auf Lua und auf ihr Leben im Basler Zolli zurückzublicken.

-- Von Dr. h.c. Jörg Hess --

Luas Basler Geschichte begann eigentlich schon, bevor sie selber in die Basler Schimpansenfamilie einzog. Als im Dezember 1979 Fifi, die erfahrene Stammutter der Familie im Alter von ungefähr 25 Jahren starb, hinterliess sie nicht nur ihre zwei Monate alte Tochter Benga, sondern auch eine empfindliche Lücke im sozialen Gefüge der Gemeinschaft.

Benga kam damals für die Zeit ihrer frühen Kindheit in menschliche Obhut. Nach Fifis Tod herrschten in der Familie «chaotische» Verhältnisse. Fifi war nicht nur die einfühlsame Reglerin des Familienfriedens gewesen, sondern sie hatte immer auch beschwichtigend Einfluss auf das oft überbordende Temperament von Eros, dem Stammvater genommen. Ohne Fifi setzte er seine Familie unter allzugrossen sozialen Druck.

Der Zolli machte sich darum sofort auf die Suche nach einem Ersatz für Fifi. Dabei ging es jedoch nicht einfach darum, eine erwachsene Schimpansin zu finden, sondern gesucht war eine «Fifi», eine Schimpansin also, die von ihrer Persönlichkeit her fähig war, Fifis Stellung in der Familie einzunehmen, allmählich in sie hineinzuwachsen und sie auszufüllen.

Der Zolli entschied sich nach längeren Abklärungen für die damals ungefähr 10-jährige Lua aus dem Zoo Seeteufel in Studen. Lua kam im März 1980 nach Basel. Dass mit Lua die richtige Wahl getroffen war, zeigte sich schon nach wenigen Tagen. Ihre Eingliederung in die Basler Familie sollte schrittweise über einen längeren Zeitraum hinweg erfolgen.

Lua war so untergebracht, dass sie ihre künftigen Familienmitglieder sehen, hören und riechen konnte, von ihnen aber noch durch eine Gitterschranke getrennt blieb. Vom ersten Tag an waren Eros und Lua voneinander so sehr fasziniert, dass sie einander am Gitter stundenlang gegenübersassen, sich gestisch und mimisch miteinander unterhielten und so keinen Zweifel daran liessen, dass sie sich in direktem Kontakt kennen lernen wollten. Mit ihrem Verhalten bewirkten die beiden, dass man die Pläne einer schrittweisen Eingliederung aufgab und die Schieber einfach öffnete. Lua wurde von Eros auf eindrückliche und freundliche Weise willkommen geheissen und von der ganzen Familie gut aufgenommen, ohne dass es zu irgendwelchen Aggressionen kam.



Was man gemeinhin als «Affenliebe» bezeichnet, ist Ausdruck eines hochkomplexen sozialen Verhaltens. Sofern man die Geduld und das Auge dazu hat, ist es äusserst spannend, diese Vorgänge, die tatsächlich «menschlicher» nicht sein können, zu beobachten.


Als Schimpansenpersönlichkeit zeigte Lua Wesenszüge, von denen man zuerst denken würde, dass sie sich eigentlich ausschliessen. Lua konnte sozial «polternd» auftreten wie ein Schimpansenmann und sich damit in der Familie Einfluss und Respekt verschaffen. Andererseits erwies sich Lua in schwierigen sozialen Situationen den anderen Schimpansenfrauen, Kleinkindern und Kindern gegenüber auf kaum zu beschreibende Weise einfühlsam, freundlich und mütterlich. Lua wurde innerhalb der Familie auch zur begehrten Partnerin beim gegenseitigen Fellpflegen, wenn es darum ging, auf diese Weise den Familienfrieden zu sichern und einander versöhnliche und freundliche Gefühle auszudrücken.

Die beiden erwähnten Charakterzüge zeigten sich bei Lua schon bald nach ihrem Zuzug in die Familie deutlich und sie blieben das auch, über ihr ganzes Leben hinweg. Leider war Lua eine eigentlich glücklose Mutter. Nur ihre beiden Kinder der frühen Baslerzeit, der Sohn Dan (geboren am 16. Februar 1981) und die Tochter Kamasi (geboren am 29. Mai 1987) überlebten die Geburt. Alle anderen Schwangerschaften endeten bei Lua mit Totgeburten, oder mit Aborten.

Ihr erstgeborenes Kind Dan kam 1987 im Alter von sechs Jahren bei einem Unfall ums Leben, als die Schimpansen damals aus dem Affenhaus «ausbrachen». *)

Unvergessen bleibt Luas Reaktion auf den Tod ihres Sohnes. Lua hatte die Gewohnheit entwickelt, sich am Abend mit ihrem Sohn, und später mit Sohn und Tochter, in eine bestimmte Schlafbox zurückzuziehen. Dort nestete sie immer in einem grossen Strohhaufen und schlief danach im Körperkontakt mit den beiden Kindern. Über Jahre blieb das ausnahmslos so.

Nach Dans Tod wich Lua von dieser Gewohnheit ab. Sie schlief jeden Abend, etwas verloren und verwirrt anmutend, irgendwo auf dem Boden eines Schaukäfigs und verzichtete darauf, sich ein Nest herzurichten. Erst sechs Tage nach Dans Tod nahm Lua, zusammen mit Kamasi ihre früher üblichen Schlafgewohnheiten wieder auf.

Trotz den unglücklichen Mutterschaften entwickelte Lua erstaunlich hingebungs- und liebevolle Beziehungen zu Kindern. Sie war eine Schimpansenfrau, die ihre Mütterlichkeit in hohem Masse allen Kindern in der Familie schenkte und auch erstaunlich einfühlsame Zuwendungsformen zu Müttern mit Neugeborenen und Kleinkindern zeigte. In den Tagen nach Kamasis Geburt etwa sah man Lua sehr oft mit winklig abgelegten Armen auf dem Rücken liegen. Ihr wenige Tage altes eigenes Kind lag Bauch zu Bauch auf ihrem Körper, und mit den beiden anderen Armen umschloss sie je ein anderes, fremdes Kleinkind und wendete sich auch diesen immer wieder mütterlich zu.

Als Fifis letztes Kind, die Tochter Benga, nach ihrer Aufzuchtszeit bei Menschen wieder in die Schimpansenfamilie zurückgebracht wurde, erwählte man unter den Schimpansinnen Lua zur ersten Kontaktpartnerin für die Kleine. Benga war damals wohl in der Lage, ohne Muttermilch auszukommen, nicht jedoch ohne mütterliche Zuwendung, Lua sollte also in die Rolle einer Ersatzmutter hineinwachsen und so dem Kind den Weg zurück in seine frühere Familie sichern und ebnen.



Es sind zwar Affen, aber es scheint, dass es ihnen sauwohl ist an Mutter Luas Brust.


Lua löste die mit der Erstbegegnung verbundenen Probleme innerhalb von ein bis zwei Tagen auf meisterhafte Weise und bot Benga, dem damals verschüchterten und ängstlichen Kleinkind, auf einfühlsame Weise die Geborgenheit an ihrem Körper und in ihren Armen an. Es gelang Lua, mit Benga eine mütterliche Beziehung aufzubauen, und daraus erwuchs eine enge Verbundenheit, die über das ganze spätere Leben der beiden hinwegführte.

Letzter Ausdruck für diese Beziehung war in Luas letzten Tagen, als sie ständig teilnahmsloser und apathischer wurde, dass sich Benga, als einzige in der Familie, ständig in Luas Nähe aufhielt, sie kaum mehr allein liess und unter dem, was mit Lua geschah, auch sichtlich zu leiden hatte.

Relativ schnell wuchs Lua neben der älteren Jacky in die Rolle der Chefin der Gemeinschaft hinein, und sie zeigte dabei oft auch die ganz andere Seite ihrer Persönlichkeit als die einfühlsam-mütterliche. Im Körperbau und im Verhalten zeigte Lua einige unter den Schimpansenfrauen ausgesprochen männliche Züge. Sie neigte in der Erregung zu ähnlichen Imponierauftritten, wie sie für männliche Schimpansen charakteristisch sind. Deutlich wurde dieses Verhalten meist dann, wenn Eros sich imponierend und blagierend aufspielte und sie ihm mit vergleichbaren Verhaltenssequenzen den Rücken noch zusätzlich stärkte.

Lua galt lange Zeit als Favoritin von Eros. Vielleicht hatte diese Bevorzugung auch einfach damit zu tun, dass Lua, die wegen der Aborte nie lange Zeit schwanger war, viel häufiger als andere Schimpansenfrauen an geschlechtlichen Begegnungen mit Eros interessiert war. Luas Stellung in der Familie hing allerdings nicht allein mit ihrer Einfühlsamkeit und ihrer Erfahrung zusammen, sondern auch mit ihrem Temperament und ihrer Nähe zu Eros.

Auch Lua hinterlässt eine Lücke in der Familie. Im Gegensatz zu früher wird aber jetzt wohl Jacky, die «inoffizielle» Chefin und graue Eminenz der Gemeinschaft, diese zumindest vorübergehend schliessen.

Jörg Hess

*) red.- In Wirklichkeit war es gar kein «Unfall», sondern die Ausbrecher wurden von der Polizei abgeknallt. Das Unglück, das es für den Zolli nämlich bedeutete, hatte heftige Diskussionen in der Öffentlichkeit und zolli-intern ausgelöst. Das Abknallen wurde damit begründet, dass nicht nur die Polizei vom Aff gebissen hätte werden können…

Von Gast


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