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Artikel vom 31.05.2006

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Elsass - Kultur

Der vergessene Pfingstumzug

Am Ringsten gehts an Pfingsten ins Ecommusée d‘Alsace - dem tollen Dorf im nahen Elsass: Mit Kind und Kegel zu neuen, günstigen Eintrittspreisen und zum «Pfingstpfitterie»-Umzug vom Sonntag und Montag, 4./5. Juni 2006

Von Jürg-Peter Lienhard



Der Pfingstumzug war für habliche Bauern Gelegenheit, ihren Reichtum zu zeigen - nämlich ihre Pferdestärken (noch ohne Motorhaube): Hier erfrischen die Reiter des Pfingstumzuges im Ecomusée d'Alsace ihre Tiere im Mäander-Quartier bei dem aus Hüningen stammenden und hier wiederaufgebauten Rheinfischerhaus. Fotos: Ecomusée d'Alsace, Ungersheim © 2006



Das Pferd, Symbol der Kraft und des Reichtums (des Besitzers), spielte im alemannischen Volksbrauch eine grosse Rolle. Im Ecomusée d‘Alsace kann man einen traditionellen Pfingstumzug zum letzten Christenfest des Winterhalbjahres erleben - mit vielen Pferden und eigenartigen Figuren, jeweils an Pfingstsonntag, 4. Juni und Pfingstmontag, 5. Juni 2006, nachmittags.

Wo immer es in der alemannischen Welt Pfingstprozessionen gibt, sind sie sehr lokal geprägt und unterscheiden sich in ihrer Darstellung. Ob sie aber im Wallis oder im Elsass noch abgehalten werden, in einem gleichen sie sich stets: Nämlich im Blumenschmuck, Symbol des Sommers, des Lichtes zumal, das von nun an das kommende Halbjahr beleuchten wird.

Im Ecomusée d‘Alsace sind die Volkskundler auf eine höchst interessante Dokumentation über eine Pfingstprozession gestossen, die zwar 1850 zum letzten Mal abgehalten und dann bis in unsere Zeit hinein vergessen geblieben war: Der Pfingstumzug von Baldenheim.

Die Dokumentation war derart detailliert beschrieben, dass das Ecomusée sich entschloss, diesen Umzug nachzustellen. Eine Hauptrolle spielt dabei das Pferd, besser gesagt, spielen die Pferde, und so ist es auch ein Anlass nicht nur für Freunde des alten Brauchtums, sondern auch für Pferdeliebhaber.


Der Pfingstumzug von Baldenheim und seine Hauptpersonen

Die Figuren, wie sie im Pfingstumzug von Baldenheim beschrieben worden waren, überlebten zwar überall im Elsass - mehr oder weniger verblichen - bis noch kurz vor dem letzten Weltkrieg. Aber auch da war ihr Sinn in der Bevölkerung vergessen. Die Baldenheimer Umzugsbeschreibung von 1850 stellt eigentliche Bilder vor, die einer traditionellen Aufstellung folgten:

Die erste Figur war der «Gassarümer», der Aufräumer, oder genauer, der Platzmacher. Er ist auch gewissermassen Zeremonienmeister, der die Aufgabe hat, den Umzug einzuweisen.

Dann folgt der «Bürgermeister». Er ist umringt von den «conscrits», den seit den napoleonischen Revolutionskriegen noch heute so geheissenen Eingezogenen. Traditionell sind sie weiss gekleidet, haben schwarze Hüte auf und tragen farbige Bänder - meist «bleu, blanc, rouge» - die sie um ihre Oberkörper wickeln und allerlei Schabernack veranstalten.

Die «conscrits» am Umzug im Ecomusée werden von «Henriette» begleitet. Sie ist einer Kalesche vorgespannt, in der weitere traditionell kostümierte Figuren mitfahren.

In der dritten Gruppe treten die Puppen «Hänsel und Gretel» auf. Sie sind auf einem liegenden Rad befestigt, das am Ende eines von einem Ochsen nachgeschleiften Stammes befestigt ist und den Boden so berührt, dass es sich in horizontaler Lage mal rechtsherum, mal linksherum dreht. Dabei strecken sich «Hänsel und Gretel» die Arme zu, als ob sie sich umarmen wollten, aber doch nie zueinander finden.

Dieses Rad kam oft auch in anderen Dörfern an den Pfingstumzügen vor. Manchmal setzte man auch den Dorftrottel oder alte Weiber darauf, denen man etwas dafür gab, um mit ihnen das Gaudi veranstalten zu können.

Seinen Ursprung hat dieses Bild aus der Zeit der Marterstrafen, als man Leute aufs Rad flocht und blieb stets ein «Klassiker» solcher Feste. Noch in neuster Zeit, nach der Befreiung des Elsass von den Deutschen, sah man allenthalben eine Hitler versinnbildlichende Puppe auf dem Rad…

Diese Deutung des Rades bringt uns wieder zurück in die Zeit der Fastnacht, in die Welt der Nacht und des Todes, was in diesem Umzugsbild in der Sonnenzeit aber zur reinen Komik wird und damit die enge Verwandtschaft von Tragik und Komik verdeutlicht.

Der «Schneckenbeller» findet man im ganzen Alpenbogen. Das Kostüm aus Schnecken-Gehäusen entstammt verschiedenen Ursprüngen. Das Gerassel der zu Hunderten am Kostüm angenähten Schnecken-Gehäuse versinnbildlicht das Knochengeklapper der Totengerippe, die ursprünglich hölzernen Schellen der Narren, die Bettelbüchsen der Pilger auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela und das Klappern der Rätschen der Lepra-Ausgestossenen, die damit von ihrem ansteckenden Krankheitsbefall warnten.



Der «Schneckenbeller» rasselt mit seinem Kostüm hoch zu Ross.



Der «Taumahder» (der Tau-Mäher - er mäht den Tau und nicht das Gras - ist gewissermassen ein «Luft-Mäher») spielt die Rolle des Narren, des Verrückten. Sein Livree ist in grellen Farben gehalten: Gelb für die Hinterlist, Heimtücke, Grün für die Eitelkeit und Rot für Wollust und Streitsucht. Sein Werkzeug ist eine Sense mit einer Schneide, die nicht schneiden kann und daher aus Holz ist…

An der Fastnacht ist der «Taumahder», der Narr, der dominante Meister und der Vermittler zwischen den Lebenden und der Welt der Ahnen. An Pfingsten, nach der Wiederauferstehung an Ostern, ist dieser Narr ohne Aufgabe und ohne Nutzen; die Sense des Todes schneidet nicht, das Leben triumphiert.



Der «Taumahder» mit seinem grellbunten Kostüm und der Sense mit der hölzernen Schneide.



Es folgt der «Riffeschmecker», der schwarz-weiss Geschminkte, den Farben des Todes, der Kälte und des Winters. Er sitzt typischerweise auf einem starken Acker- oder Bierwagengaul, dessen Rasse hierzulande als «Friesländer» bekannt ist, französisch auch «boullonais» geheissen.

Dann tritt «dr Schwarzmaa» auf, eine Art Werwolf, dem man in allen traditionellen Wintersagen begegnet, beispielsweise in der Figur des Hans Trapp. Sein Kopfschmuck besteht aus Getreidegarben, weil in ihnen das Mutterkorn mit seinen psychotropen Substanzen vorkam, deren Genuss zu Halluzinationen führt, und die man als Visionen von «Hexen» und «Hexerichen» interpretierte - oder auch verantwortlich machte für die «Verwilderung» des Menschen zum Tier.



Der «Schwarzmaa» mit seinem Kopfschmuck aus Getreidegarben.



Der eigentliche Held des Pfingstumzuges hat ihm auch den Namen gegeben: «d‘r Pfingstpflitteri» (oder Pfengstpflitteri»), was frei in die Hochsprache übertragen auch «Pfingsfröstler» heisst. Er ist eine Sorte «Wilder Mann», wie man ihn im Brauchtum am Oberrhein kennt - in Basel, wie in Mülhausen und am Vogesenrand ebenso wie im Schwarzwald.

Mit seinem Namen verbindet man aber auch den Frost, der um Pfingsten herum immer noch auftreten kann und deshalb in dieser Jahreszeit auch gefürchtet ist. Wie der «Riffeschmecker», ebenfalls Teilnehmer am Umzug, zeigen diese Figuren das Bewusstsein der Landleute für das Klima und für die Empfindlichkeit der Schösslinge auf den Reif, was dem Pfingstumzug auch eine gewisse Art von magischem und Fruchtbarkeitsritus gibt.

Die Deutung des Reifs weist uns auch darauf hin, dass der fröstelnde «Pfingstpflitteri» nackt ist, körperlich und im übertragenen Sinne: denn er ist noch nicht getauft… Also ist er nur bekleidet mit Blättern, so wie es im Wald, im Urwald, woher er stammt, es wilden Menschen auch genügt, bekleidet zu sein. «Wilde Menschen» - Heiden, ohne christliches Gewand!

Die ihn umspannenden und überkreuzenden Bänder versinnbildlichen seine Einfangung, seine zum christlichen Leben Zuführung. Es ist der Sieg der Kirche über die alten magischen Bräuche der Landleute. Die Bänder sind symbolische Fesseln in den Händen von Kindern, die den Pfingstpflitteri daran bis zum Dorfbrunnen halten, wo er zum grössten Gaudi und als Höhepunkt des Umzugs hineingeworfen, wird. Damit werden zwei Symbole angedeutet: Jenes eines Opfers dem göttlichen Wasser und zumal das der christlichen Taufe.



Der «Pfingstpflitteri», die Hauptperson des Pfingst-Umzuges, gefangen an den farbigen Bändeln der Kinder, die ihn zum Dorfbrunnen führen, wo er «getauft» wird. Auf dem Bild schlecht erkennbar ist sein Blätterkleid, das mit der Dorfplatz-Linde im Hintergrund verschmilzt…



Noch ein Wort zum Baum, den der «Pfingstpflitteri» hält; man nennt den Baum Maibaum. Der Baum als Symbol wird im Winter verwendet; wir kennen es als wichtigstes mit dem Weihnachtsbaum. Und in der christlichen Lehre als «Baum der Erkenntnis» im Paradies. Aber bei uns symbolisiert er vor allem den ursprünglichen Wald, wo die alten Germanen wohnten, die für unsere Vorfahren seit dem zehnten Jahrhundert stets Vorbild für Kraft und Mut waren.


Was bedeutet Pfingsten im Kalender?

Pfingsten ist das letzte Fest der Osterzeit. Das sind 96 Tage nach dem Faschingsdienstag, das heißt 46 Tage Fastenperiode und 50 Tage zwischen Ostern und Pfingsten.

Es ist dieses letzte Fest des winterhalbjährlichen «Mondkalenders», der Heiliges und Magisches ebenso wie Trauer und Komisches vereinigt. Die Feste, die darauf folgen, werden durch den Sonnenzeitplan bestimmt, dessen Höhepunkt das Johannis-Sommerfest ist.

Das letzte Mondfest, der Pfingstumzug, ist genau symmetrisch zur Fastnacht. Die Fastnacht öffnet die Klammer zur Osternzeit; Pfingsten schließt sie.

Innerhalb dieser Klammern gibt es zwei Perioden: Die Periode des Feuers mit den Johannis-Feuern, was dem Anruf der Sonne und der Läuterung vor Dämonen des Todes bedeutet, und die Periode des Wassers, was der Vorstellung der Reinheit der Taufe und der fruchtbaren Ernten entspricht.

Die Pfingstmontag-Prozession ist auch eine Kraftdemonstration, weil das Pferd stets in sie eingebunden war.

Sie war deshalb eine Gelegenheit für die reichsten Bauern, ihren Reichtum vorzuführen, indem sie sich mit den Geschicklichkeits-Reitereien von den anderen Einwohnern des Dorfes abzuheben vermochten.

Von Jürg-Peter Lienhard

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

• Die Homepage des Ecomusée d'Alsace (französisch)

• Die Homepage des Ecomusée d'Alsace (deutsch)


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