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Artikel vom 24.12.2005

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Basel - Kultur

Torso-Rigoletto

Opernpremiere im Theater Basel mit frenetischem Applaus für die Musik und Buh-Geheul für die Inszenierung

Von Jürg-Peter Lienhard



Rigoletto im «Briefkastenschlitz»: Eine interessante, grossenteils gelunge Interpretation verdichtet durch Abstraktion die Handlung. Foto: Sebastian Hoppe, Theater Basel © 2005



Vollkommene Schönheit, so sagt der philosophische Ästhet, ist langweilig. Die echte Schönheit braucht einen kleinen Fehler, damit die Schönheit eben augenfällig wirken kann. Das mag sich Regisseur Michael Thalheimer gesagt haben, als er seine nicht nur gewagte, sondern anerkennenswerterweise hochinteressante Bühnenversion von Verdis «Rigoletto» in Basel fabrizierte: Hosen runter, damit eine präpotente Provokation «einen Skandal» entfache, womit eine nach Konsequenz strebende künstlerische Überlegung diesen Schönheitsflecken abkriege. Nur - es war für diese überwiegend bemerkenswerte Inszenierung ein Schmutzflecken und nicht ein Schönheitsflecken!

Den Ärger zuerst, weil die Prügel verdient sind: Was an «Unanständigem» auf der Bühne produziert wird, gibt stets auch Rückschlüsse auf die Seelenproblematik des Verursachers. Sexualität auf der Bühne, insbesondere (nochmals: insbesondere) die «Andeutungen», sind nur den ganz grossen Könnern vorbehalten - sonst wird es peinlich für den Regisseur und eine Zumutung fürs Publikum! Der «Skandal» ist nicht das Gezeigte, sondern, dass eine «Provokation» provoziert wurde, was eben genau so unerträglich ist, wie wenn ein unbegabter Erzähler für denselben Witz zwei Mal hintereinander Aufmerksamkeit erzwingt…

Den Ärger muss man zuerst ablassen, weil die Aufführung des «Rigoletto» am Theater Basel eben doch einige Aufmerksamkeit verdient. «Rigoletto» gehört zu den meistgespielten Opern der Kulturwelt. Kunststück, ist sie doch von zwei Titanen der abendländischen Kultur geschaffen worden: von Giuseppe Verdi und nach der Novelle von Victor Hugos «Le Roi s‘amuse» (alles Weitere dazu auf dem Internet…).

In Basel kommt sie nur alle rund zehn Jahre auf die Bühne. Das letzte Mal in einer Regie-Version von Christine Mielitz 1996 und etwa sieben Jahre zuvor von Jean-Claude Auvray. Während jene Regie von Mielitz in die Hosen ging, weil die Frau mit der aufwendigen Technik und einem (technisch) falsch durchdachten Bühnenbild nicht zurecht kam, soll jene von Auvray eine «ungewöhnliche» Interpretation wegen der «Zeitversetzung in die US-Prohibition» gewesen sein und deshalb «provoziert» haben.

Stolpersteine umgangen

Der Schauspieler und Theaterregisseur Michael Thalheimer hat sich wohl etliche «Rigolettos» angeguckt: Da sind immer Stolpersteine drin, da gibts Handlungen, die «nicht aufgehen» - wie beispielsweise die Szene mit der Leiter: wie blöd muss einer sein, sich die Augen verbinden zu lassen, während man seine Tochter raubt? Oder die Ermordung Gildas (Maya Boog) wie auch der Tod derselben - in der Oper sterben, dauert ewig… Alles Klippen, die auch in berühmten Inszenierungen nur mit Schaden (für das Bild) umschifft worden waren.

Thalheimer hat mit seiner Bühnen-Inszenierung in Basel einen Weg beschritten, den zwar vor ihm schon andere beschritten haben, ja gewissermassen - so will ich meinen - in der Oper zurzeit Mode ist: Weisse Kulissen, die dem Zuschauer bildliche, räumliche oder epochale Phantasie abverlangen, Klamotten vom Estrich. Oder, wie in der Thalheimer-Inszenierung, bei «Gromit und Wallace» abgeguckt… Das kräftige Gebuhe, als Thalheimer mit seinen Bühnenbild- und Kostümgestaltern zum Premierenapplaus auftrat, dürfte daher wohl auch dem Dekor gegolten haben.

Das Dekor (Henrik Ahr) bleibt vom ersten bis zum letzten Takt dasselbe: ein schmaler, weisser Briefkastenschlitz, trichterförmig perspektivisch nach hinten verengend, eine sehr kurze, gefährlich schräg zum Orchestergraben abfallende Spielfläche. Nur im Hintergrund verändert sich das «Bild» durch hin und her oder vor- und zurückgeschobene weisse Stellwände, mit sehr schönem Licht (Hermann Münzer) geflutet.

Vergnügen durch geistige Anstrengung

Was will dieses «Guckkasten»-Bühnenbild, und was will die Inszenierung damit? Sie provozierte - diesmal echt - gleich zu Beginn, noch vor dem Auftakt von Marko Letonja: «Rigoletto» (Anooshah Golesorkhi - an der Premiere) betrat «gebrochen» die Bühne und verharrte «unerträglich» lange, so dass es im Publikum unruhig wurde und Gehuste zu mehr als dem üblichen Mass anschwoll, bis dann endlich der Taktstock anhob. Drei solcher «Pausen» gibt es während des Stückes - und in jeder steht dann einer der drei Protagonisten der Geschichte «ausgestellt» im Rampenlicht - die Hauptpersonen in der abgründigen Dreiecksgeschichte um Rigoletto, Gilda und dem Herzog.

Diese Erzählweise vergnügt, weil sie eben echt provoziert: Was soll das? Das Regie-Konzept Thalheimers hat es darauf abgesehen, es ist eben herausfordernd an eine Betrachtungsweise, die an üppige «Rigoletto»-Inszenierungen gewissermassen «gewöhnt» ist und die auch so etwas unterschwellig erwartet. Wenn man sich aber in Partitur und Text vertieft hat, dann ist Thalheimers Sicht geradezu eine Befreiung, und man kann ihm nur dankbar dafür sein, dass er in der Basler Aufführung so vieles «Bildliche» offengelassen hat.

Ich habe mir von einem Konservator der Paul-Sacher-Stiftung eine Videoaufzeichnung mit Pavarotti und der Gruberova (?) ausgeliehen (und im Zügelgut versenkt, kann daher momentan nicht darauf zurückgreifen). Wir haben diese Aufnahme x-mal angesehen (ab CD gehört sicher 250 Mal!) - Pavarotti ist ein «Gott» -, doch das Kostümfest und die «dramatischen» Effekte dieser Inszenierung, haben uns jedesmal an denselben Stellen zum Lachen gereizt.

Welche Wohltat also, die Inszenierung Thalheimers, welch «befreiende Enttäuschung», könnte man sagen, über eine «fehlende» überladen geschauspielerte Darstellung… Thalheimer hat einen Torso geschaffen, wie Henry Moore in der Bildhauerei: Zeigt der Poet auf den Mond, guckt der Dummkopf auf den Finger.

Reflexionen über Ehre und Rache

Wir haben nicht auf den Finger geguckt, sondern vor allem die Ohren sperrangelweit aufgemacht und nicht nur aus Fairness Pavarotti und die Gruberova vergessen: Das kurze Bühnenbild zwang die Protagonisten an die Rampe, der Gesang war selbst auf dem Balkon nicht nur zu hören, sondern auch zu verstehen… Erlösend auch die Ermordung der so selten nicht kitschig dargestellten Jungfrau Gilda, wo kein Theaterdolch aufblitzt, kein lächerliches Daniedersinken vorkommt. Endlich mal eine Inszenierung, wo man nicht durch Mist abgelenkt wird, sondern nun den Sinn der Geschichte erfassen kann, nämlich die seelischen Verstrickungen der Menschen darin, die «zeitlos» und ungefiltert zum Vorschein kommen dürfen.

Vielleicht war es Absicht des Regisseurs, dass der Zuschauer damit auch das Thema der «Ehre» und der «Rache» herausgeschält erhält, und zwar auf dem Hintergrund von realen Mordtaten und -Prozessen muslimischer Immigranten: Welche Abscheu Morde in Basel wegen muslimischer «Ehre» in letzter Zeit auch erzeugt haben, so zeigt die Novelle Hugos doch deutlich, dass die abendländische christliche Gesellschaft auch stets damit infiziert war, wenngleich die zivilisatorische Aufklärung seit dem 19. Jahrhundert sowohl in Frankreich wie selbst in Italien eine Änderung des allgemeinen Rechtsempfindens in Sachen Leidenschaftsmorden aus überkommenen gesellschaftlichen Usanzen herbeigeführt hat!

Verdi hat «Rigoletto» im intimeren «Fenice» in Venedig uraufführen lassen (siehe Internet). Thalheimer hat das wohl ebenfalls aus der Literatur erfahren und daher den Chor des Theater Basel (Leitung: Baldo Podic) «verkleinert» - sehr zum Wohle auch des musikalischen Ausdrucks dieser Inszenierung.

Über neue Stolpersteine gestolpert

Wenngleich er die «klassischen» Stolpersteine von «Rigoletto»-Inszenierungen gewitzt umgangen hat, so fiel er doch gelegentlich über neue: Zum Galopp nach der Ouvertüre - rassiger Galopp war der Modetanz zur Zeit Verdis - schlich sich der Chor wie Amateur-Darsteller auf die Bühne. Wer von den Sängern von hinten in den Briefkastenschlitz zu treten hatte, musste einen peinlich anstrengend anzusehenden hohen Schritt tun, und gewisse Handlungen auf der «Abschussrampe» lenkten dadurch ab, dass man immer das Ausgleiten der Protagonisten in den Graben fürchtete. Schadenfreude erzeugten die sperrigen Stiefel, die den eher dünnbrüstigen Tenor (Daniel Kirch) aus dem Gleichgewicht bringen, ebenso peinlich sein aufgesetztes Gewaltgehabe, dem nur noch die SS-Mütze fehlte.

Gewiss geht die überwiegende Mehrheit des Premieren-Publikums weder wegen der Musik noch wegen des Themas in die Oper. Und noch gewisser ist, dass der Grossteil dieses Publikum weder Text noch Partitur kennt und auch nicht gewillt ist, mehr darüber zu erfahren, als was es erst im Theatersaal kurz vor dem Auftakt im Programmheftlein dazu zu überfliegen vermag. Angesichts der drückenden Sparrunden, die auch im Theater Basel angesagt sind, ist es unverständlich, dass man die intellektuelle Faulheit dieses Publikums noch damit belohnt, dass man es mit der Installation einer Maschine für Übertitel belohnt, so wie es sich das von den Untertiteln im Fernsehen gewohnt ist. Abgesehen davon, dass man nicht lesen, sehen und hören gleichzeitig kann, zumal, wenn die Übertitel zehn Meter über dem Geschehen verfolgt werden müssen, ist der Dank des Premieren-Publikums in Basel ja doch nur «Buuuuuh»…

PS: Kein Künstler «wollte» den Skandal; der «Skandal» ist Ausdruck von Ignoranz. Wer einen «Skandal» absichtlich einbaut, geht nicht ehrlich mit seiner Arbeit, nicht fair mit dem Publikum um. Sein «Skandal» ist Ekletizismus und daher stets schon lange überholt. Nur will das niemand vom «modernen» Theater wahrhaben. Das ist der Skandal, aber der echte. Wie langweilig!

PS II: Nach der «Mielitz-Inszenierung» habe ich den «zugemieteten» Schlagzeuger Daniel spasseshalber darauf aufmerksam gemacht, dass er sechs Glockenschläge vor «Mezzanotte» ausgelassen hat. Er entrüstete sich mit dem Verweis auf die Partitur, die eben nur sechs Glockenschläge zulässt - ein sehr durchdachter «Kniff» des Komponisten. In der Interpretation von Thalheimer waren es aber - hors de partition - zwölf! Ein Interpreten-«Gag», der aus der «Langsamkeit» von Thalheimers «Torso-Inszenierung» vielleicht logisch oder sogar hinterlistig ist?…



Weitere Vorstellungen: 27.12.2005, 30.12.2005, 8.01.2006, 12.01.2006, 21.01.2006, 25.01.2006, 29.01.2006

Von Jürg-Peter Lienhard

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

• Musikkritik siehe Basellandschaftliche Zeitung vom 24.12.2005


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