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Artikel vom 24.01.2004

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Theater

Neue Kolumne:

Mit Stumm unterwegs

Von einem, der auszog, von den Theatermachern das Fürchten zu lernen

Von Reinhardt Stumm

• In DORNACH macht Wilfried Hammacher mit seiner gigantischen Inszenierung von FAUST II hervorragende Theaterarbeit.
• Wie das Blut im Hamburger Thalia-Theater - dem Theater des Jahres 2003 - in einer MACBETH-Inszenierung von Andreas Kriegenburg über eine riesige Plastikbahn fliesst - warum, das wird allerdings niemandem klar.

In Dornach

Im Oktober gab es auf der Goetheanumbühne schon erste Werkstattaufführungen aus Faust I, Prolog im Himmel und Anmutige Gegend und Himmelfahrt. Inzwischen arbeitet die Truppe unter der Leitung von Wilfried Hammacher am vierten Akt von Faust II. Da heisst es «Hochgebirg» - Der Einsamkeiten tiefste schauend unter meinem Fuss - und «Auf dem Vorgebirg». Der Gegenkaiser will die Macht, es herrscht Krieg, Mephisto sorgt für die Geheimwaffen, die den Sieg herbeiführen. «Naturgemäss geschieht es nicht», findet der richtige Kaiser.

Ich durfte einen Vormittag zuschauen. Sanft beginnt die Zeit zu drängen, Anfang April ist Premiere, aber Hammacher lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Wir haben ein Problem. Wie spielt man die drei Gewaltigen? Diese kindlichen, lärmenden Riesen Raufebold und Habebald und Haltefest? Eine der vielen Schwierigkeiten, die bewältigt werden wollen. Es ist das alte Problem der Animation von Figuren, deren Texte ohne gestische Impulse sind. Die Operndiva knüllt ein Taschentüchlein. Hier ist Schauspiel und die Frage: Wie schafft man Bewegung für einen statischen Text? Die Schauspieler spielen hinter einer grossen Projektionsfläche, Schattentheater, von hinten beleuchtet, werden sie um so riesenhafter, je näher an der Lichtquelle sie spielen. Das sieht toll aus, erinnert ein bisschen an Vogel Gryff (und das ist nicht mal so falsch). Neues Problem: Da hinten sind sie so ganz von der Hauptbühne abgeschottet, dass sie von den Regieanweisungen nichts mehr hören. Also gut, das lässt sich bewältigen. Ein anderes war an diesem Morgen schon gelöst. Die Schattenfiguren, erzählte Hammacher, sahen vom Zuschauerraum immer aus wie von hinten. Was tun? Sie bekamen aus Karton ausgeschnittene Köpfe so auf ihre eigenen draufgesetzt, dass die Augenöffnungen vom rückwärtigen Licht beleuchtet werden. Das brachte das nächste Problem: Die Schauspieler müssen nun auch noch genau auf ihre Kopfhaltung achten. Aber dazu hat man ja schliesslich Proben!

Geduld, Geduld, Geduld. Und manchmal das reinste Vergnügen. Nach dem Sieg verteilt der Kaiser die Ämter im Reich, auch einen Mundschenk ernennt er - aber woraus schenkt der Mundschenk? Requisiten gibt es ja noch gar nicht! Ein feierlich herbeigetragener umgedrehter Motorradhelm hilft - vermutlich der erste auf der Goetheanumbühne. «Sie erleben soeben», flüstert mir Hammacher vergnügt zu, «die Anfänge des Regietheaters auf der Goetheanumbühne!»

Wieder staune ich über das Mass von Sprechkultur, das diesen Schauspielern eigen ist - selbst da, wo die Arbeit mehr Stellprobe als Spielprobe ist. Diese Sprechkunst trägt am Ende sogar noch über jene Passagen weg, die - dem selbst erlassenen Gesetz getreu - mitgespielt werden müssen, weil keine der 12111 Verszeilen gestrichen wird - keine einzige! Zwischendurch huscht der blasphemische Gedanke durch den Kopf, dass der ehemalige Weimarer Theaterdirektor Goethe vermutlich nicht so linientreu gewesen wäre.

Es war ein schöner Morgen - saukalt in dem riesigen Theatersaal - auch deshalb ist es nützlich, die alte Wolldecke im Auto zu haben!

In Hamburg

Letzte Woche im Hamburger Thalia-Theater, ein Zufall. Eine Repertoire-Aufführung von Shakespeares Macbeth. Die Premiere liegt weit zurück, sie war im letzten Februar. Inzwischen wurde das Thalia-Theater von den Mitarbeitern der Zeitschrift «Theater heute» zum Theater des Jahres 2003 ernannt. Nicht zuletzt dank der Arbeit des Regisseurs Andreas Kriegenburg, der auch Macbeth inszenierte.

Das Bühnenbild gibt Rätsel auf. Zwölf Glaskabinen, doppelte Telephonzellengrösse, stehen in Reih und Glied auf der Riesenbühne. Alle gleich ausgerüstet, Schreibtisch, Computer, Telefon. Drei Damen kommen durch die Gänge nach vorn, aha, die drei Hexen. Das verstehe ich gerade noch, nachher verliert sich die Geschichte im Dunkel der Textfetzen, die mir manchmal bekannt vorkommen, dann wieder Leere, Betrieb in den Kabinen, Telefone klingeln, Zigarettenrauch steigt auf. Nach der Pause wird Banquo auftragsgemäss ermordet. Erst mit Füssen halbtot getreten, dann beklagt sich einer der beiden Mörder, ich krieg ihn nicht kaputt! Also wird das Opfer auf eine riesige Plastikbahn gerollt, die von der Rückwand der Bühne (jetzt ohne Kabinen) herabhängt. Die Herren schleppen eine gewaltige Bohrmaschine herbei, und nun wird Banquo durchbohrt. Das Blut läuft innen an der Plastikbahn herunter.

Ich denke mir, dass das Faszinierende an dieser Art Theater, an der wir ja gar nicht mehr vorbeikommen, in dem Umstand zu suchen ist, dass es so bilderreich ist, dass man eigentlich gar keinen Text braucht. Wer schaute nicht fasziniert durch die Glaswand eines Hochhauses auf den Broadway hinunter - die Wand kann so schalldicht sein, wie sie will!

Wie weit kann man es treiben, bevor die Stricke reissen? Unendlich weit! Das Haus in Hamburg war voll! Ein älterer Herr verliess die Loge, in der ich sass, ziemlich am Anfang - ganz dezent! Ich ging erst nach dem Mord an Banquo (König Duncan war ja auch schon lange tot!).

Von Reinhardt Stumm

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