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Artikel vom 05.04.2005

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Mit Stumm unterwegs

Espace d'Art Contemporain Fernet Branca St-Louis

Rebeyrolle

Er ist einen - ist jeden Versuch wert!

Von Reinhardt Stumm



Knorrig - wie seine Gemälde: Paul Rebeyrolle (1926–2005) in seinem geliebten Louvre. Alle Fotos: J.-P. Lienhard, Basel © 2005



ST-LOUIS.- Es ist die zweite Ausstellung bei Fernet Branca in St-Louis - und ohne Ehrgeiz ist sie nicht: «Quand on est si près de Bâle, avons nous dit un jour, on n‘a pas le droit de "faire mediocre".» Der das mit sympathischem Übermut sagte, ist kein Geringerer als Jean Ueberschlag, Député Maire von St-Louis.

«Un jour» war ein glücklicher Tag. Paul Rebeyrolle hat (bis 31. Oktober) nicht genau gezählte siebzig Arbeiten bei Espace d‘Art Contemporain Fernet Branca in St-Louis ausgestellt. Sie sind alle in seiner zweiten Lebenshälfte (1926-2005) zwischen 1972 und 2004 entstanden. Der Künstler starb mitten in den Vorbereitungsarbeiten zu dieser Ausstellung, «mais il nous reste son oeuvre, il nous reste son message, plus vivant que jamais» (Ueberschlag).



«Au sculpteur inconnu», 1989, 240 x 340 cm



Was wir sehen, sind Riesenbilder. Stark, ungeglättet, ungebärdig. Die Glätte der Oberfläche, wie wir sie erfahren, löst sich bei ihm auf, das Darunter öffnet sich, das Innere stülpt sich nach aussen, alles ist Erosion, wilde Bewegung, Zorn, Bitterkeit. Rebeyrolle ist wie viele andere ein Opfer dieser Zivilisation, des Alltagswahnsinns, den die meisten gar nicht mehr wahrnehmen, was ihn nur schlimmer macht.



«L'Emballage», 1975, 153 x 390 cm



Wenn Rebeyrolle zum Pinsel greift, dann aus Notwehr. Alles ist wütende Abwehr, bittere Ironie, Hohn, Spott, Bosheit, leidenschaftliche Bewegung, alles ist heiss, kocht über, explodiert, überstürzt sich, hier gibt es keine kontemplative Ruhe, keine philosophische Gelassenheit, keinen Rückzug, hier leidet einer: «Und wo der Mensch in seiner Qual verstummt, gab ihm ein Gott zu sagen, was er leidet» (Goethe/Tasso).



«Chien» - das einzige Gemälde Rebeyrolles mit Himmel.



Der Mensch ein Zyklop, ungestaltet, klobig, klotzig, aus der Erde erst halb ans Licht geschoben von mitleidlosen Gewalten - Adam und Eva, nicht das wundersame Spiel eines schöpferfreudigen Gottes, sondern der Ausbruch eines Vulkans, ungestaltet aus dem Feuer, blind in die Welt geworfen - die monumentale Bronzeplastik (3 mal 5 Meter Grundfläche und über drei Meter hoch, Gewicht sieben Tonnen, sie musste mit Hilfe eines Baukrans in den Innenhof gehievt werden), diese Bronze mit dem Titel «Adam et Ève, Et Dieu crèa la depression» (1999) ist ein schmerzhafter Hohn auf die Schöpfung - bei Rebeyrolle kann es gar nichts anderes als Hohn sein. Wer so hellsichtig an der Welt leidet, wer so nicht bereit ist, die Augen zuzudrücken und «ist ja alles nicht so schlimm» zu sagen, muss Gott ins Handwerk pfuschen und ihm die Prokura entziehen.



Die Riesenräume des Museums Fernet Branca sind bestens geeignet für Rebeyrolles grossformatige Bilder.



Themenbereiche - Rebeyrolle hat sich immer wieder neu aufgemacht, hat, unerschöpflich, immer wieder neue Darstellungsweisen gefunden. Das «Art brut» zu nennen, ist pure Verlegenheit. Ob er die Farbe auf die Leinwand giesst oder spritzt oder spachtelt, ob er Maschendraht oder Lumpen oder alte Kartons oder sonstwas einklebt und die Flächen zu wahren Hochreliefs anschwellen lässt, es ist immer Rebeyrolle, unverwechselbar, grob und unhöflich und «ist mir egal, was du denkst» - und sensibel, empfindsam und weich wie ein Kind.



Die lebensgrosse Foto Rebeyrolles in seinem Atelier in Boudreville (Burgund) begrüsst als erstes den Besucher im Museum Fernet Branca.



Was ein Betrachter hier liebt und nicht liebt, was er an sich zieht und was ihn abstösst, muss er selber herausfinden. Es hat mit dem zu tun, womit Kunst immer zu tun hat - sie ist das vertrauliche, ein intimes Gespräch zwischen Werk und Betrachter. Wenn die Beiden verschiedene Sprachen sprechen, geht es nicht. Wenn der Betrachter taub ist, geht es nicht. Wenn das Werk stumm bleibt oder gar stumm ist, weil es nicht sprechen kann, geht es auch nicht. Aber wenn es funktioniert, dann ist es gewaltig.

Rebeyrolle ist einen - ist jeden Versuch wert!



Sieben Tonnen Adam und Eva via Himmel in den Innenhof des Museums gehievt.



Ausstellung Paul Rebeyrolle vom 19. März bis 31. Oktober 2005.

Das Museum für Gegenwartskunst Fernet Branca - Espace d"Art Contemporain Fernet Branca- St-Louis, 2 rue du Ballon (gegenüber den Bahngeleisen des Bahnhofs St-Louis), ist täglich (ausser Dienstag) geöffnet von 14 bis 19 Uhr.

Es gibt einen Katalog zum Preis von 20 €

Eintrittspreise: regulär 5 €; ermässigt und Gruppen 4 €; gratis für Kinder unter 12. Jahren. Führungen auf Anfrage.
Das Museum ist Mitglied im Verein Oberrheinischer Museumspass

Kontakt:
Museum für Gegenwartskunst Fernet Branca
Espace d"Art Contemporain Fernet Branca
2 rue du Ballon
F-68300 St-Louis
Tél. 00 33 3 89 67 10 77
Fax 00 33 3 89 67 63 77
Internet: www.museefernetbranca.org



«Sauf» ist französisch und heisst auf deutsch: «ausgenommen»…

Lesen Sie frühere Artikel über Espace d'Art Contemporain Fernet Branca unter nachfolgenden Links

Von Reinhardt Stumm

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

• Die Internetseite von Museum Fernet Branca

• Nimm mich nach dem Essen!

• Ein Adler trohnt auf dem Dach

• St-Louis bekommt ein Kunstmuseum


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