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Artikel vom 14.10.2004

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Theater

Gelebt - bis zur Erschöpfung

Mal wieder Theater als Theater erleben

Von Reinhardt Stumm



Schaurig-schöne «Lebendskulptur» von Elissa Bier, einer Münchnerin, wie ihr Name sagt, hat aber in Strassburg studiert und entwarf auch für François Marin die Dekoration der sagenhaften Farinet-Inszenierung von Sion im Jahr 1984. Ihre witzigen Bilder sind nun auch in der jüngsten Produktion der Kaserne Basel wiederum höchst bemerkenswert gelungen.


In der Kaserne Basel gibt es bis 22. Oktober «Protect me from what I want» - ein sehr sehenswerter Abend aus dreizehn kurzen Stücken, die nebeneinander gespielt werden.

Die Leichtigkeit dieses Abends ist beflügelnd, seine Ernsthaftigkeit bemerkenswert, die gestalterische Phantasie höchst erfreulich - eine wunderschöne Kaffeemühle (immer wieder von vorn) mit dreizehn kurzen Darstellungen (Theaterstücke sind es eigentlich alle nicht), und doch sehr geeignet, wieder einmal über das Wesen des Theaters nachzudenken: was soll es eigentlich? Und was soll es nicht? Ganz sicher soll es keine Rätsel aufgeben (zumindest keine unlösbaren). Und was es soll?

Vergnügen machen

Fragen stellen

Zweifel wecken

Antworten herausfordern


Ach ja Kaffeemühle - warum? Weil alle dreizehn Stückchen mehrfach gespielt werden. Wenn eines zu Ende ist, fängt es gleich wieder neu an.

Zum Beispiel in der U-Bahn (Station). Da merkt man zunächst mal gar nichts von Theater. Ein langes Kellergewölbe, rechts und links die Plastiksitzschalen, die wir alle kennen, da sitzen Leute, Sie und ich und andere, und erst nach und nach begreifen wir, dass wir zwischen Schauspielern sitzen, die sich unterhalten. Und fangen an, zuzuhören. Und das ist anders, als wenn wir, wie sonst, beim Telefonieren zuhören. Theater führt in die Mitte. Schnell. Und unmissverständlich. Wir wissen, wovon die Rede ist. Hier wird die Mitte gesucht und gefunden.

An der Bettkante und vor dem Fernseher

Gleich nebenan bringt ein Mann eine Bekannte im Auto nach Hause und bleibt - von der linken bis zur rechten Bettkante. Sehnsucht, Hingabe, Erwartung, Neugier, Missverständnisse, anders reden, anders meinen, anders sein und anders scheinen - er geht später, Ende. Gleich um die Ecke: Das alte Ehepaar sitzt vor dem Fernseher, voller Groll auf alles, auf das Leben, auf sich selber, auf den oder die da drüben. Müde, enttäuscht, versteinert, vorbei, gibt es was Schöneres, als zu sterben?



Glück ist nicht verboten; auch auf der Bühne nicht.

Und dann, das kleine Glück! Eine Frau (wie hat sie es geschafft, Kind zu werden?) spielt mit Seifenblasen - welch schöne Metapher! Sitzt träumend unter einer Trittleiter, der Regen rauscht, wir räkeln uns in Liegestühlen rund um die Spielfläche in der grossen Reithalle, wo die Äpfel auf dem Boden herumrollen, und wissen in jeder Sekunde, wovon die Rede geht, obwohl kein Wort gesprochen wird.

Improvisierte Bühnen und Improvisations-Lust

Auf einer anderen dieser wunderschön improvisierten Bühnen im Keller heisst es Arbeit - Büro, Berge von Papier. Man muss Büroarbeit gar nicht ad absurdum führen, meistens ist sie schon absurd. Die Angestellten stehlen sich auf erheiternde Weise ein bisschen Lebenszeit, der Chef ringt um sein Auftrittsformat, aber wozu soll einer Chef sein, wenn um ihn herum nichts ist?

Auf leisen Sohlen geht es sich hier gut, man kann bleiben, muss aber nicht, man kann wiederkommen, muss aber nicht. Man kann vergleichen, muss aber nicht. Hier ist Hansjörg Schneider Autor, da sind es die Schauspieler, hier wird improvisiert, da ist es genaue Textarbeit, hier ist es ein gebautes Bild, da das gegebene Ambiente (die umgebaute Kaserne hat erfreulich viel davon), immer ist hier was zu sehen, da was zu hören, ist dem einen nachzuhorchen, dem anderen vorauszudenken.

Es lohnt sich!

Die Bilder sind von Elissa Bier, Monika Neun hat Regie geführt. Der kleine Stab, der dazugehört, hat für die Kostüme, für die Musik, für das Licht gesorgt - jetzt muss man nur noch hingehen.

Es lohnt sich. Nicht zuletzt, weil nichts selbstverständlich ist. Merkwürdig depressiv, manchmal düster, pessimistisch die Stimmung in diesen Piecen, und doch und trotzdem erstaunlich frisch, lebhaft oder gar übermütig der Umgang damit. Das tut ganz gut, den Ohrenhängern ebenso wie jenen, die nie was merken.

Spieldaten: 14./15./16., dann 19./20./21./22. Oktober 2004. Einlass gestaffelt, ab 19.00 Uhr alle halbe Stunde bis 20.30 Uhr.

Von Reinhardt Stumm


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