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Artikel vom 23.12.2003

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Theater-Kritik

Randbemerkungen

Im Schauspielhaus Basel: Heinrich von Kleist's Amphitryon - Inszenierung Barbara Frey

Von Reinhardt Stumm



Alle sind zufrieden. Die Sonntags-Zeitung befand, dass der jungen und erfolgreichen Regisseurin Barbara Frey Kleists abgründiges Lustspiel Amphitryon im Schauspielhaus in Basel weniger zur hamletschen Ich-Zauderei als zu einer bitterbösen Anklage geriet. Wie ich mir die Ich-Zauderei vorstellen müsste, erfahre ich nicht, aber hier geht es ja auch nicht um das, was nicht war, sondern um das, was war. Jupiter hat Alkmene ein Kind gemacht - sie wird den Kraftmeier Herkules gebären, Amphitryon darf den Vater spielen. Alles o.k.

Ein schönes, stilles Bild am Ende, da liegen sie zusammengekrümmt und völlig erschöpft am Boden. Dann lacht Amphitryon, dieses nun schon richtig klebrige Kreischen, und endlich hat Alkmene, aus tiefer Ohnmacht erwachend, begriffen, was passiert ist. Ihr berühmtes Ach klingt ein bisschen wie Räuspern nach längerer Heiserkeit. Das passt durchaus.



Alkmene muss eine Fürstin sein - das ist kein Titel, das kennzeichnet eine Haltung -, aber sie ist keine Fürstin, sie hat keine Hoheit, keine Anmut, sie gibt kein Mass, das ist nicht ihre Sache, sie ist billig, sie lacht - wie alle anderen in dieser Inszenierung - wie ein scheppernder Waschkessel, sie hat was Flittchenhaftes, eigentlich ist sie ziemlich vulgär. Ob Kleist sie sich so vorgestellt hat? Vermutlich nicht. Aber sie passt gut zu Jupiter. Der tritt mal wie ein Zuhälter, mal wie ein Operndirektor auf, er und sein Handlanger Merkur erinnern durchaus an italienische Strauchdiebe.

«Wer bin ich?» ist kein «heiteres Rätselraten»

Jedes Kind weiss, dass in diesem Stück dauernd dieselbe Frage gestellt wird, und sie wird ernsthaft gestellt: Wer bin ich? Wer bist Du? Bin ich wirklich ich? Das ist vielleicht nur gerade ein böses Spiel, wenn der gute Diener Sosias dran glauben muss, nicht er selber zu sein. Wenn Jupiter von Alkmene als Geliebter erkannt sein will und nicht als diensthabender Ehegatte (sozusagen), ist es eine Frage, die auf das Selbstbewusstsein des mächtigsten aller Götter geht.



Sogar der hat Probleme mit der Identität, wie wir sie alle kennen. Wer hat denn noch nie «ich als Mann» oder «ich als Lehrerin» gesagt? Das geht schön in diesem Stück, ist durchaus modern, passt mühelos in modernes Gewand wie in dieser Inszenierung von Barbara Freyer. Entsprechend lebhhaft die Reaktionen im Zuschaueraum, viel zustimmendes Gelächter, Wiedererkennen natürlich auch.

Das Werkzeug der Schauspieler ist die Sprache!

Ich habe Probleme mit der gesprochenen Sprache. Vieles ist schlecht, manches gar nicht verstehbar. Ja, das wurde mir hier und da bestätigt, aber das ist halt der Beton; die Akustik in diesem Haus ist miserabel.

Das hat was, das ist aber nicht alles. Unsere Schauspieler haben keine Sprechkultur. Verschluckte Endsilben sind schon gar kein Thema mehr, mein Gott, wo lebst du? Verschlurrte Sätze, hingeschludert, auch unbedacht hingeschludert, machen das Verständnis schwer - und berauben mich auch noch des Vergnügens, Sprache zu geniessen. Kleist ist kein Leitartikler des Baslerstabs - nichts gegen den - aber Kleist kann mehr. Und ich hätte gern die Chance, das zu hören. Freilich, die Regisseurin ist auch keine Sprachkünstlerin. «Das Hinterfragen von Gott ist ein Kind, das die Aufklärung geboren hat», sagt die Dame in einem langen Interview in der Theaterzeitung. Na ja.

Vulgär und dennoch schön

Das Theater tut, was kein Mensch täte. Wer würde bei seiner HiFi-Anlage Bass und Treble zudrehen und nur noch Mittellage hören? Die dafür so grell und schrill, dass einem die Ohren wehtun?

Vulgär. Die Schauspieler kommen so vulgär daher wie die Leute, die sie auf der Strasse sind, im Tram, auf dem Barfi, zuhause in der Küche. Sie lieben breit ausgestellte Anzüglichkeiten, die das Publikum dankbar honoriert, sie bewegen sich wie an der Leine gezogene Cartoonfiguren - so jedenfalls trippelt Charis über die Bühne, als wäre sie aus Karton ausgeschnitten. Dabei hat die Frau ein Temperament wie die Zofe der Minna von Barnhelm. «Ich bin verloren», sagt sie, und sie sagt es, als hätte sie den Briefkastenschlüssel verloren.

Es ist gut, ein schöner Abend, sehr heftig beklatscht.

Weitere Aufführungen am: 2., 9., 15., 19. und 29. Januar 2004

Von Reinhardt Stumm

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