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Artikel vom 06.06.2014

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Ecomusée d'Alsace

30. Jahrestag der Eröffnung

Ecomusée d’Alsace: zwiespältige Jubiläumsfeier

Wie die rechtspopulistische elsässische Politik einen Skandal verschweigt…

Von Jürg-Peter Lienhard



Foto vom Gründer des Ecomusée d'Alsace, Marc Grodwohl, aufgenommen 2011 im Büro von J.-P. Lienhard und vor dessen Elsass-Bibliothek. © foto@jplienhard.ch


So tun als ob - als ob alles im Sinne des Gründers Marc Grodwohl nach dessen erzwungenem Abschied weitergegangen ist und weitergeht. Kein Wort davon, dass man sein Verdienst und dasjenige seiner hochmotivierten Gründer-Equipe verleugnet und stattdessen der Bevölkerung am Oberrhein aus rechtspopulistischer Ranküne ein grossartiges Werk gestohlen hat… Für mehr hier klicken:

«Ich fühle mich krank und elend: Ich habe meinen Nachruf bei lebendigem Leibe hören müssen.» Der dies sagte, ist Marc Grodwohl (58), der charismatische Gründer des Ecomusée d’Alsace in Ungersheim. Mit grossem Pomp und einer ganztägigen Direktsendung des französischen Fernsehens, ging am Wochenende vom Samstag, 31. Mai, und Sonntag, 1. Juni 2014, der Auftakt zu den Jubiläumsveranstaltungen zum 30jährige Bestehen des Freilichtmuseums ohne dessen Gründer über den Bildschirm. Kein Wort von keinem der «Offiziellen», dass man im Jahr 2006 Grodwohl und seine zumeist freiwilligen Mitstreiter durch einen raffinierten politischen Schachzug buchstäblich enteignet hatte: Die rechtspopulistische Politik favorisierte einen in der Nachbarschaft geplanten kommerziellen Erlebnispark, dem man die über 300’000 jährlichen Besucher des Ecomusée d’Alsace zuführen wollte um damit ein verblendet-ehrgeiziges touristisches Profit-Center zu bilden. Inzwischen ging der «Bioscope» genannte künstliche Park aus Plastik bankrott und das Ecomusée verlor nicht nur seinen nationalen Museums-Status, sondern auch über 200’000 Besucher, ist mangels Finanzen zu einem folkloristischen Schein-Museum verkommen, das zwar immer noch vom Charme des visionären Gründer-Konzeptes leben kann.

Marc Grodwohl hatte früh eine geschickte Idee, die aber sein grösster Fehler in seinem Leben wurde und ihn grandios scheitern liess: Als der hochintelligente 19-Jährige, angeregt durch Max Gschwend, Gründer des schweizerischen Freilichtmuseums «Ballenberg» bei Brienz und früherer Forscher im Sundgau-Dorf Allschwil, auf der Kali-Industriebrache von Ungersheim ein Gelände zur Lagerung der vor der Zerstörung geretteten Fachwerkbalken historischer Elsässer-Häuser zur Verfügung gestellt erhielt, war ihm klar, dass im damals armen Nachkriegs-Elsass kaum Geld vom Staat für sein gewagtes Projekt eines elsässischen Museums-Dorfes zu erhalten war. Die Idee hiess «Selbstfinanzierung», und sie war es denn auch, die den damaligen Parlamentspräsidenten des Oberelsass, der «Vehdokter» (Veterinär) Henri Goetschy (1974 bis 1988), überzeugen konnte: «Grodwohl und die seinen hatten den Esprit, und wir Politiker die Befugnisse», sagte er dem französischen Fernsehen.

Zug um Zug mit höchst engagierten elsässischen Freiwilligen und Freiwilligen des «Service Civil International SCI» (eine schweizerische Gründung nach dem Ersten Weltkrieg) geschahen praktisch ohne Mittel die ersten Wiederaufbauten, bis am 4. Juni 1984 das Ecomusée vom damaligen charismatischen Kulturminister Frankreichs, Jack Lang, mit erst 19 Häusern eingeweiht werden konnte (die Basler Zeitung widmete der Eröffnung eine fünfseitige Beilage - siehe diesen Link: http://www.webjournal.ch/article.php?article_id=1327). Grodwohl indes wusste, dass das Publikumsinteresse nur erhalten bleiben konnte, wenn jährliche Neuigkeiten die Neugierde zu wecken vermochte. So wuchs das Ecomusée bis 2006 zu einem eigentlichen Museums-Dorf mit rund 70 Gebäuden aus. Zudem verband eine Eisenbahnlinie mit Bahnhof und von freiwilligen Eisenbahnfreunden restaurierten Panorama-Waggons die benachbarte Industrie-Ruine einer stillgelegten Kalimine, wodurch die imaginäre Brücke vom ruralen Zeitalter ins industrielle der 70er-Jahre geschlagen wurde. Denn Grodwohls Konzept war nicht ein Abbild einer Vergangenheit, sondern die Darstellung einer Entwicklung der Zivilisation und der Lebensbedingungen der Menschen am Oberrhein. Ein Besucher am Fernsehen: «Die meisten begreifen es sofort, die anderen nie…»

Der stete Ausbau hatte aber zur Konsequenz, dass die Anzahl an bezahltem Personal ebenfalls zunahm sowie die Kosten für Infrastruktur (Elektrizität, Wasser, Abwasser, Reparaturen etc.) aus dem Ruder liefen, was eben nicht mehr mit der Erhöhung der Eintrittspreise und den Einnahmen aus den zugewandten Betrieben (Restaurant, Hotelsiedlung und Boutique) aufgefangen werden konnte. Zwar leistete das Departement und die Région Alsace während der Zeit von Grodwohl wesentliche Beiträge an die Infrastruktur und die Zufahrtsstrasse, doch Grodwohls Begehren nach einer regelmässigen Subvention wurde nie stattgegeben, so dass es der neuen Politik gelang, das Ecomusée gewissermassen finanziell auszuhungern und gratis zu übernehmen, indem es Grodwohl mit dem Ultimatum des Verzichts anstelle des Konkurses zur Aufgabe sowohl der Eignerschaft wie auch des Museumsstatus zugunsten eines Profit-Centers mit dem Freizeitpark «Bioscope» zwang. Der Gründungsvertrag des Ecomusée enthielt nämlich den folgenschwer verkannten Passus, dass das Ecomusée im Falle eines Konkurses dem Departement zustehe: Grodwohls Lebensfehler…

Die Nachfolger Grodwohls vermittelten den Anschein, dass sie sein Werk gewissermassen nahtlos in seinem Sinn weiterführen. Doch in Wirklichkeit ist die wissenschaftliche Forschung eingestellt, die zahlreichen (im Museum unsichtbaren) Initiativen in den Dörfern zur Erhaltung der historischen Bausubstanz, die Beratung der Hausbesitzer, die kulturellen Anstösse im Land und vieles, was sich indirekt wirtschaftlich, zumal touristisch, auszahlt, ist durch die Entfernung der hochmotivierten Gründer-Equipe fatal zum Erliegen gekommen und zu einem folkloristischen Nostalgiepark verkommen. Zumal auch der frühere direkte Kontakt zu Basel aufgehört hat: Wo noch vor wenigen Jahren Beiträge der Lotteriefonds Basel-Stadt und -Land flossen, wo alle grossen Chemie-Konzerne regelmässig Mitarbeiter-Ausflüge, der Kongressdienst der Messe Basel einmal mit 7 Rheinschiffen den Leber-Kongress ausfahren liess, die Grossverteiler Migros und Coop, sowie die Muba Ausstellungen oder Ausflüge anboten oder mitfinanzierten.

Grodwohl, der stets differenziert und intellektuell anspruchsvoll argumentiert, fühlt sich persönlich nicht zuerst von der ignoranten Politik verleugnet, sondern - und das ist typisch für ihn - er sagt: «Man hat nicht mich, sondern die ganze Bevölkerung am Oberrhein und alle Freiwilligen, die ihr Herzblut gegeben haben, bestohlen»…



Sein Gesicht müsste eigentlich so rot werden, wie die Weste seines Folklore-Kostüms, womit er erst recht unglaubwürdig wirkt: Charles Büttner, ehemaliger Turnlehrer und Präsident des Oberelsässischen Generalrates live während der Jubiläumssendung des französischen Fernsehens FR 3 - Alsace aus dem Ecomusée d'Alsace am Samstag, 31. Mai 2014. Bildschirmfoto

Von Jürg-Peter Lienhard

Für weitere Informationen klicken Sie hier:

• Homepage von Marc Grodwohl (aktuell)

• L'Ecomusée décapité (franz.)

• Das Ecomusée wird geköpft (deutsch)

• Wikimedia über Ecomusée d'Alsace


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