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Artikel vom 14.09.2009

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Ottokars Cinétips

Die Hölle im Paradies

«Antichrist» von Lars von Trier zurzeit in Basel im Kino Eldorado

Von Ottokar Schnepf



Lars von Trier schickt in seinem «Antichrist» Charlotte Gainsbourg und Willem Dafoe in den Wald zur Therapie. Aber statt Heilung gibt es den Gegenangriff der Natur und genitale Verstümmelung.


In einer Zeit, in der das meiste, was in Hollywood, und nicht nur dort, produziert wird, für die Kids, also für Kinder und Jugendliche gedacht ist, kann man von Glück reden, wenn hin und wieder ein Film für Erwachsene in die Kinos kommt. Wie zum Beispiel «Antichrist» von Lars von Trier. In Cannes blieb dieser Film noch Tage nach der Premiere Gesprächsstoff, was am Willen vieler Kritiker lag, die Bildergeschichte seines Paares allzu buchstäblich zu nehmen und darin eine frauenfeindliche, sadistische Gewaltfantasie zu entwickeln.

Er (Willem Dafoe) ist Psychologe, Sie (Charlotte Gainsbourg) Historikerin mit gescheitertem Dissertationsprojekt über Hexenverfolgung und den krankhaften Frauenhass bei Männern (Misogynie). Die beiden trauern um den Tod ihres zweijährigen Sohnes, der zu Beginn des in Zeitlupe gehaltenen Films in Schwarzweiss aus dem Fenster stürzt, während die Eltern unter der Dusche vögeln.

Das ist bloss das Entrée, denn später gibt es noch Sex im Wald, wo ein Fuchs, der die eigenen Eingeweide frisst, in die Kamera spricht - nachdem Charlotte Gainsbourg ihren Film-Gatten kastriert und mit dem Bohrer sein Bein durchstösst, eine Eisenstange durchsteckt und darauf einen Schleifstein fixiert hat, was jede Flucht unmöglich macht. Zuguterletzt verstümmelt sie mit der Schere ihr eigenes Genital, bevor sie zum Brandopfer am Scheiterhaufen wird.

Dass Lars von Trier kunstvolle Tricks der Bildmontage in einem Bravourakt bündelt und immer wieder verblüfft mit suggestiven Horror-Perspektiven der Angst und des Psycho-Schocks, macht «Antichrist» zuweilen zu einem optischen Selbstzweck-Kunststück der virtuosen Kino-Technik, voll grimmig dunkler Lust am Spiel mit dem Absurden.

Der Film lässt sich auch als blutiger Horrorfilm über einen Therapeuten betrachten, der seine Frau mit einer Konfrontationstherapie in einer einsamen Hütte im Wald von ihren Ängsten und Depressionen über das verlorene Kind befreien will. Doch die Dinge sind nicht das, was man auf den ersten Blick sieht.

Die Bilder und Figuren in «Antichrist» sind sehr viel eher Manifestationen eines schwer depressiven, sein Leben lang von Ängsten aller Art geplagten Filmregisseurs. Frau, Mann, Fuchs, Wald, kastriertes Opfer und kastrierter Täter sind alles eins: von Trier selbst. «Antichrist ist auch nicht wirklich ein Horror-Film. Für mich geht es darin ganz stark um Ängste und Schuld», teilt er uns im Presseheft mit.

Und gegen den Vorwurf der Frauenfeindlichkeit kontert er: «Aber in diesem Film ist es doch eindeutig sie, die Frau, sie ist menschlich. Während meine männlichen Protagonisten immer ein wenig dumm sind und naiv und plump. Und sie haben immer eine Theorie übers Leben. Und sie ist immer falsch.»

Gewidmet hat von Trier seinen «Antichrist» dem russischen Regisseur Andrej Tarkowskij, und tatsächlich steht alles in einem kuriosen Dialog mit der Bilderwelt von «Der Spiegel» (1975): die Naturinszenierung, die mythische Hütte, die Slow-Motion-Regentropfen, die unberechenbaren Tiere, der Wechsel von Schwarzweiss und Farbe, die Verwandlung von physischer Landschaft in eine mentale Landschaft, eine meditative Reise - all das findet sich auch in «Antichrist» wieder.

Charlotte Gainsbourg wurde für ihre Rolle als schonungslose Heldin, die keine Lust mehr hat, Opfer zu sein, in Cannes verdient mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet. Denn was der Regisseur seinen beiden Protagonisten abverlangt hat, das geht tatsächlich unter die Haut.

Von Ottokar Schnepf


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