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Artikel vom 02.09.2009

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Elsass - Kultur

Nachruf

Profasser Flascheputzer hat die Feder abgelegt

Ein «letzter Mohikaner» des elsässischen Theaters ist tot: Freddy Willenbucher, Autor und Kolumnist im Melhüser Idiom sowie grandioser Herren-Owe-Texter, starb 87-jährig und hinterlässt eine kaum mehr auffüllbare Lücke

Von Jürg-Peter Lienhard



Freddy Willenbucher vor seinem Porträt, das der grossartige elsässische Karikaturist Jean-François Mattauer von ihm angefertigt hat. Wer den «Willebuecher» kannte, attestiert dem Karikaturisten, dass Freddy auf dem Gemälde dem «realen» fast noch näher kommt, als er hier «fleischlich» auf der Foto leicht entstellt durch das Grinsen ausschaut… Foto abgekupfert vom clakmagazine, clakzundgo.com, freundliche Erlaubnis als selbstverständlich angenommen…


Seine Kolumnen in der süd-elsässischen Tageszeitung l’Alsace hiess «Profasser Flascheputzer» - ein sinniger Name für eine Elsässer «Witzknubba», denn nur zu oft kommt der elsässische Witz buchstäblich aus der Flasche… Doch war für Freddy Willenbucher die Realität wie so oft anders, als es das Vorurteil haben möchte: Seine mehr als 1500 Kolumnen enthielten oft sehr nüchterne Beobachtungen der elsässischen Wirklichkeit, weshalb sie der Autor mitunter gar nicht humorvoll niederschreiben konnte.

Woche für Woche konnte man seine Kolumnen lesen, wenn man zumindest Elsässisch verstand. Und das 1544 Mal jede Woche - eine dreissigjährige Arbeit. Das ist eine Leistung, für die kaum mehr ein Journalist heute den Schnauf hat, auch wenn man ihn machen liesse (was im Pressewesen heutzutage sowieso nicht mehr der Fall ist).

Ich habe den «Willebuecher», wie wir ihn freundschaftlich hiessen, seit den 80er-Jahren gekannt und behaupte bestimmt zutreffend, dass seine Periode als Texter des Herren-Owe, der traditionellen Fasnachtsveranstaltung unserer Schwesterstadt Mülhausen, die beste aller Zeiten war. Nach ihm fehlte es so manchem am selben klugen Witz, ja einige verwechselten den Typus «e ganz Digger» mit plumpem Ordinärem, während Willenbucher es zwar dick hinter den Ohren hatte, aber nie unter die Gürtellinie zielte…

Das war denn auch sein Markenzeichen, das aber aus der elsässischen Tradition des gezwungenermassen «zwischen den Zeilen» Kommunizierens, des «Switchens» zwischen Französisch, Deutsch und Elsässisch. Die Basler haben das gut gelernt, schon damals, als der Herren-Owe das Vorbild der «Rahmestiggli» des viel jüngeren «Monstre», der Basler Vorfasnachts-Veranstaltung, wurde.

Im Elsass ist der Tod des Profasser Flascheputzer zwar prominent gemeldet worden, doch die Lücke, die er in der elsässischen Kultur hinterlässt, wird in der elsässischen Öffentlichkeit kaum mehr als solche wahrgenommen und schon gar nicht zu schliessen sein: Die Kontamination des elsässischen Idioms durch das Französische ist derart fortgeschritten, dass kaum mehr gute Texter für den Herren-Owe aufzutreiben sind, dass auch die Leser der Elsässisch-Kolumne dahinsterben, zumal sie deren Nachwuchs ihr alemannisches Idiom nicht mehr beigebracht haben.

Freddy Willenbucher hat elf elsässische Theaterstücke vom Genre Schwank verfasst - sie alle sind von goldigem Humor und vor allem von Können gekennzeichnet. Das Verfassen eines Schwankes, der nicht nur auf Lacher abzielt, erfordert ein gewisses Fingerspitzengefühl bei der Auswahl und Behandlung der Thematik - zumal, wenn es um das Lieblingsthema dieses Genres, den Geschlechterkampf, geht -, und muss gleichzeitig auch damit umgehen können, dass meist auch die Regisseure Laien sind, also Theatertechnik und Regie-Phantasie nicht vorausgesetzt werden kann.

Mit allergrösstem Vergnügen erinnere ich mich an diese Aufführungen mit diesen Titeln: «D’r Dickkopf, Hit wird g’erbt, Mi Onckel d’r Bischoff, Milhüsser Wiwsersprung… und die Trilogie, D’schwartze Katz, D’r rote Ochs, D’r wisse Esel». Ferner sind in meinem Besitz einige von ihm signierte Ausgaben der Witzesammlung in elsässischer Sprache mit dem Serien-Titel «Lachkür», von denen er acht herausgab.

Sie standen am Anfang der gleichnamigen Radiosendung auf dem damaligen Radio Alsace, wo er an der Runde elsässischer Kabarettisten und begabter Erzähler teilnahm. Diese Sendung war nicht nur wegen der Witze, sondern vor allem wegen der «Musik» der elsässischen Sprache und dem atemraubenden Tempo ein Hochgenuss und ist auch bei vielen Ethnologen und Dialektkennern in wacher Erinnerung geblieben. Schade, dass man sie nicht mehr hören kann!

Es wäre eine noble Aufgabe des Regionaljournal Basel, sie dem Basler Publikum zu Gehör zu bringen, zumal man sie in Basel - ganz im Gegensatz zum Elsass - problemlos verstehen würde! Zumal der Melhüüser-Dialekt für unsere Ohren kaum anders tönt, als das baslerische Idiom, das geschichtlich und sprachlich ganz nah verwandt ist.

Freddy Willenbucher wurde am 19. Januar 1922 in Mülhausen, der ehemaligenTextilhauptstadt Frankreichs, geboren, wo er nach Absolvierung des technischen Lyzäums, zunächst in der Textilfabrik EAG tätig war. 1945 trat er in den Dienst der nationalen Polizei ein und gehörte dem Geheimdienst «Renseignements Généraux» sowie der Justizpolizei an, wo er bis zu seiner Pensionierung mit 55 Jahren als Chef des Bureaux de Police de Mulhouse amtete.

Freddy Willenbucher hatte seinen Humor in Mülhausen geschärft, der Wiege des Basler Monstre. Er war ein wichtiger Repräsentant der Mülhauser Kultur und Geschichte, ein begabter Theatermann, der dem ehemals berühmten und noch heute bestehenden TAM - «Théâtre Alsacien de Mulhouse» - lange Jahre seinen kreativen Stempel aufdrückte. Als unbeirrter Verteidiger der Elsässer Sprache und des Mülhauser Dialektes, hat er sich grosse Verdienste erworben. Schade, dass mit seinem Tod kein würdiger Nachfolger mehr geboren ist!


Von Jürg-Peter Lienhard

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• Nachruf bei clak (französisch)


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